Dialoge mit fünfzehn zeitgenössischen Regisseuren
Individuelle Regiesprachen prägen die Diskussion um die Kunstform der Oper wie kaum etwas Anderes. Nikolaus Bachlers Intendanz an der Bayerischen Staatsoper versammelte Regisseure, die in ihrer Entwicklung und Handschrift nicht unterschiedlicher sein könnten. Seit 2008 haben Altmeister wie Hans Neuenfels und Frank Castorf an der Bayerischen Staatsoper genauso inszeniert wie eine Reihe von herausragenden Künstlerpersönlichkeiten wie Barrie Kosky, Dmitri Tcherniakov und Krzysztof Warlikowski. Und junge Regisseure haben während seiner Intendanz ihre ersten Schritte in einem für sie neuen Metier gewagt: David Bösch, Axel Ranisch oder Mateja Koležnik. Mit allen hat Nikolaus Bachler über ihre Idee von Theater gesprochen.
Hier eine kleine Leseprobe mit Ausschnitten aus den Gesprächen mit Barrie Kosky, Árpád Schilling, Dmitri Tcherniakov und Hans Neuenfels:
NB: Wenn man deine Arbeit anschaut, denkt man: der Mann kommt aus einer Familie von Vaudeville, Zirkus, Theater oder Wandertheater. Du musst in dieses Metier hineingeboren worden sein.
BK: Zum Teil stimmt das tatsächlich. Meine polnische Familie ist 1905 nach England ausgewandert. Das waren die Sovinskys aus Warschau. Mein Großonkel Oskar Sovinsky war ein Clown im jiddischen Vaudeville im Londoner East End.
NB: Das habe ich mir gedacht.
BK: Seine Brüder haben ebenso im jiddischen Exil-Vaudeville gearbeitet, waren Komponisten und haben Texte geschrieben. Da liegt ein Teil meiner DNA. Aber das ist nur einer der Einflüsse aus meiner Familiengeschichte. Meine ungarische Großmutter, die hochgradig bürgerliche Magda Levi aus Budapest, war das Gegengewicht. Sie liebte Wagner, Strauss, Mozart – Hochkultur. Sie hat mir Schiller und Goethe zu meinem 18. Geburtstag geschenkt und mich in Australien zur Oper gebracht. Ein weiterer Einfluss waren meine Eltern in Australien.
NB: Das ist auch das, was dich ausmacht. Was ich interessant finde, ist deine Perspektive bei all dem. Du hast all die europäische Kunst zuerst von Australien aus aufgesogen. Ich glaube, dass das Exterritoriale eine große Rolle spielt.
BK: Wenn ich in Deutschland geboren wäre, würde ich nie ein solches Spektrum von Kunst haben.
NB: Wie sehen Sie die Zukunft unseres Metiers? Ist
das Ursprüngliche, das Rituelle am Theater noch von Bedeutung?
AS: Regisseure können zwar großartige Ideen auf die Bühne bringen, aber das Rituelle muss vom Ensemble ausgehen. Die Darsteller müssen an das, was sie auf der Bühne machen, glauben, sie müssen es leben. Man muss flexibel bleiben und für Experimente offen sein. Bei einer Operninszenierung ist das ungemein schwerer – so scheint es mir –, weil die Leute großenteils austauschbarer sind und sein müssen. Dadurch ist es noch schwieriger, den rituellen Aspekt im Auge zu behalten, was aber funktioniert, wenn man eine gute Beziehung zu allen Mitwirkenden hat. Ich habe versucht, Opern mit wenigen Kostümen und Requisiten zu inszenieren, sodass das Publikum eventuell in der Lage sein könnte, hinter die Kulisse, hinter das Kostüm zu blicken und sich zu überlegen, worum es eigentlich geht.
NB: Das Schauspiel war immer die Avantgarde für die Oper.
DT: Ich würde gerne wissen, wann dieser Moment in der Oper kommt.
NB: Vielleicht morgen?
DT: Ich glaube, wir müssen mutiger sein.
NB: Ich habe nie einen Künstler am Mut gehindert. Aber mir sind die meisten Künstler zu wenig mutig. Trotzdem, wir machen weiter.
DT: Was Sie für ein Optimist sind!
NB: Nein, vielleicht nicht Optimist. Optimismus ist so weich. Vorhin haben Sie von Adrenalin gesprochen. Viele sagen, wir bekämen Adrenalin durch die Pandemie. Ich hatte in den dreizehn Jahren hier in München in der Pandemie mit Freischütz eines der schönsten Erlebnisse. Die Stimmung in diesen sechs Wochen, die Arbeit und die Menschen waren einfach wunderbar. Es war wie im Kloster für uns. Wir haben gepflanzt wie ein Mönch, und es war eine Mauer um uns herum. Niemand konnte reinschauen, und irgendwann haben wir es gezeigt und ge-sagt: „Das ist es.“ Das war in meiner langen Erfahrung ganz neu – ganz ohne Publikum.
DT: Ich war glücklich.
NB: Wie weit ist das Inszenieren nachschöpferisch?
Wo ist der Punkt, an dem alles wieder Kunst wird?
HN: In dem Moment, in dem die Veräußerung des Gedankens des Komponisten in eine Reibung kommt, in dem das Jetzt und das, was der Komponist sich ausgedacht hat und was er komponiert hat, sich schneiden und einander begegnen in der Höhe der Quantität zur Qualität. Der Gedanke zur Interpretation muss das Größtmögliche erreichen. Damit meine ich, die Idee zu einem Werk – sei es bei Mozart oder Wagner – kann nicht fernab liegen oder zu klein sein. Sie muss versuchen, das Zentrum zu treffen.
NB: Man muss also auf die Höhe des Werks kommen?
HN: Absolut.
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Viel Vergnügen beim Lesen!