Gesänge von Krieg und Liebe
DIE SPIELZEIT 2022–23
Vielleicht befinden wir uns heute in einem schwebenden Moment zwischen einer alten Welt, die vergeht, und einer neuen Welt, die entsteht. An einer historischen Zeitenwende, in einer Zeit der Erwartung, in dieser „Angstaufwallung, die durch das Warten ausgelöst wird“, wie Roland Barthes gesagt hat. Ob Così fan tutte, Lohengrin, Krieg und Frieden, Aida, Dido and Aeneas / Erwartung, Hamlet oder Semele: In vielen Werken, die in Neuinszenierungen in der Spielzeit 2022–23 auf die Bühne kommen, befinden sich die Figuren in einem Zustand der Erwartung, jede auf ihre Weise. Wie Barthes in Fragmente einer Sprache der Liebe schreibt: „Es gibt eine Szenographie der Erwartung: ich lege sie fest, manipuliere sie, ich löse ein Stück Zeit ab, in der ich den Verlust des Liebesobjekts schauspielerisch darstelle und alle Effekte einer kleinen Trauer heraufbeschwöre. Das spielt sich also ab wie ein Theaterstück.“ Dorabella und Fiordiligi, Elsa, Radamès, die Frau, Hamlet – alle warten, gefangen zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Auch Semele wartet mit unbändiger Ungeduld darauf, von Jupiter in eine Göttin verwandelt zu werden. Und stirbt daran.
Krieg und Liebe, Leitgedanken unserer Spielzeit 2022–23, scheinen sich diametral entgegenzustehen, sind aber gleichzeitig beide von einer komplexen Dynamik und hohen Ereignisdichte geprägt. Von der Veränderung von Zuständen, dem Blick aufs Morgen, der Vereinigung von Körpern, der Vergemeinschaftung, der Entzweiung, der Hoffnung. Seit Anbeginn der Zeiten begleiten sie den Menschen. „Der Krieg ist wie die Liebe, er findet immer einen Weg“ (Bertolt Brecht). Nie hat der Krieg, haben die Kriege unsere Erde verlassen. Gerade erleben wir wieder seine furchtbaren Dimensionen. Doch die Liebe ist immer geblieben, manchmal dem Hass allzu nah: „Die Liebe ist eine Krise, die Abneigung hinterlässt. […] Ich bin dein Geliebter, also dein Feind.“ (Cesare Pavese) Liebe und Krieg sind miteinander verwoben, auch in der Kunst, es gibt kaum eine Liebeslyrik ohne Kriegsmetaphern. Den Gesängen von Krieg und Liebe im Musiktheater werden wir in der kommenden Spielzeit gemeinsam mit Dirigent:innen und Regisseur:innen nachspüren. Mit in München bereits wohlbekannten Künstlerpersönlichkeiten wie dem Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski, dem ersten Gastdirigenten Daniele Rustioni, Claus Guth, Stefano Montanari, Dmitri Tcherniakov und Krzysztof Warlikowski sowie François-Xavier Roth; und mit solchen, die zum ersten Mal an der Bayerischen Staatsoper zu Gast sind wie Neil Armfield, Lotte van den Berg, Andrew Manze, Damiano Michieletto oder Christopher Rüping.
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