AUS DEM LEBEN DURCH DIE LIEBE
DIE SPIELZEIT 2024–25
Auszug aus dem Spielzeitessay von Serge Dorny:
Amor, ch’a nullo amato amar perdona,
Mi prese del costui piacer sì forte,
Che, come vedi, ancor non m’abbandona.
Amor condusse noi ad una morte.
Liebe, die keinen Geliebten mit dem Lieben verschont, ergriff auch mich – so sehr, dass sie mich noch immer nicht loslässt. Liebe führt uns zu einem gemeinsamen Tod.
Dante Alighieri: La divina commedia (L’inferno, Canto V, v. 103–106); (Übersetzung aus dem Italienischen: Bayerische Staatsoper)
Seit es Literatur, Theater und Oper gibt, zeigen sie uns, dass die Liebe Paradies, Fegefeuer und Hölle sein kann – jene drei Bereiche der Divina Commedia, der Göttlichen Komödie, die der Dichter Dante Alighieri durchwandert. Diese Wanderung soll in der Spielzeit 2024–25 an der Bayerischen Staatsoper thematisiert werden. Die großen Stationen der Liebe werden hier durchschritten, ganz im Sinne Racines:
All meine Augenblicke schwanken ohne Unterlass
von Angst zu Zuversicht, von Zuversicht zu Raserei.
Zitat aus Jean Racines Berenike (Bérénice) in der Übersetzung von Simon Werle, mit freundlicher Genehmigung des Verlags der Autoren, Frankfurt am Main (© 2001 / 1987 Verlag der Autoren GmbH & Co KG).
Das Wesen der Liebe besteht genau darin: in einem Schwindel erregenden Changieren zwischen Gnade und Verdammnis, Glück und Unglück, Ekstase und Agonie. Unterschiedliche Facetten der Liebe spiegeln unsere Neuproduktionen wider:
Wer könnte auf die Liebe verzichten? Wohl niemand, es sei denn, er fällt wie Alberich in Das Rheingold auf die Verlockungen unumschränkter Macht herein. Das Rheingold thematisiert die Abkehr von der Liebe, und die ganze Geschichte des Ring des Nibelungen dreht sich um ihre Wiedererlangung.
Im Kontrast dazu steht eine der wenigen heiteren Opern Gaetano Donizettis mit der sonnendurchfluteten Liebe, die in La Fille du régiment strahlt. Fast schon eine musikalische Komödie mit zahlreichen wunderbar virtuosen Arien – ein musikalisches und stimmliches Feuerwerk.
Liebe ist auch essenzieller Bestandteil der Mythologie: die Liebe zwischen Göttern und Sterblichen. Ein Paradebeispiel ist die Liebe Jupiters zu Danae, die Liebe im Goldregen, wie sie Richard Strauss in Die Liebe der Danae feiert.
Liebe als unerreichbare Sehnsucht, die sich stets entzieht, wie der Horizont, den man nie berühren kann: Dies ist die Liebe, wie Kát’a Kabanová sie fühlt, Liebe als einziger Ort des Zu-sich-selbst-Findens. Diese Liebe verwandelt sich schließlich in einen Albtraum, der zum Tod der Titelheldin in den Fluten der Wolga führt.
In der dritten Ausgabe des Ja, Mai Festivals werden wir zwei Opern zeigen, die die Schwingungen, Tiefen und Geheimnisse des menschlichen Herzens ausloten und dabei den weiblichen Blick betonen: Matsukaze von Toshio Hosokawa und Das Jagdgewehr von Thomas Larcher. Wir nähern uns diesen zeitgenössischen Werken über Madrigale von Claudio Monteverdi an – eine Brücke, die deutlich macht, dass Musik epochenübergreifend ist.
Liebe ist undenkbar ohne ihre dunkle Doppelgängerin, die Eifersucht. Sie verzehrt und tötet, verzehrt sich selbst und tötet ihr Gegenüber – so wird sie in dem Doppelabend Cavalleria rusticana / Pagliacci dargestellt.
Auch in Don Giovanni, jenem allumfassenden Meisterwerk, spielt Liebe die zentrale Rolle: Der Titelheld nimmt sich die Liebe einfach – wenn es denn tatsächlich Liebe ist. Gespiegelt wird diese Eroberungsgier in seinem Freiheitsdurst – und dieser unbedingte Freiheitswille führt zum Untergang.
Liebe als Inbild geduldiger Treue wird in Pénélope von Gabriel Fauré thematisiert. Es ist die Feier der Liebe eines Paares, voller Gelassenheit und Kraft, aber auch voller Tragik, denn Odysseus – den „vielgewanderten Mann“ – zu lieben heißt, jemanden zu lieben, der einem ständig entflieht.
Die erste Premiere der Ballettcompagnie erzählt in Pierre Lacottes La Sylphide vom Zerrbild einer Liebe, die in dieser Welt nicht zu erreichen ist. Der Protagonist James verliebt sich in eine geflügelte Waldfee, verliert den Bezug zur Realität und erlebt seine eigene Höllenfahrt.
In der Ballettfestwoche präsentiert das Bayerische Staatsballett einen dreiteiligen Abend mit dem Titel Wings of Memory. Diese Produktion vereint Jiří Kyliáns Bella Figura, Sidi Larbi Cherkaouis Faun sowie Pina Bauschs Epoche machende Version von Le Sacre du printemps. Mit Blick auf Dantes Liebeskonzeption ist in diesen drei Werken das Paradies ausschließlich in der bedingungslosen Ehrlichkeit zu finden.
Sol León und Paul Lightfoot kuratieren zu den Münchner Opernfestspielen die dritte Ausgabe der Reihe Sphären, die ganz dem zeitgenössischen Tanzschaffen gewidmet ist. Paradies, Purgatorium und Hölle sind für das Choreograph:innen-Duo in jedem Augenblick unserer Existenz präsent und ausschließlich durch die Liebe zum Leben zu bewältigen.
Das Bayerische Staatsorchester ist auch in dieser Spielzeit Garant für die programmatische Vielfalt und künstlerische Exzellenz, für die es in München und weltweit geschätzt wird. Große Symphonik, exzellente Solist:innen und spannende Newcomer in den Akademiekonzerten versprechen aufregende Abende mit berühmten und seltenen Werken, die in teils ungewohnten Kombinationen ein neues Licht auf vermeintlich vertraute Kompositionen werfen.