2. Themenkonzert
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Wissenschaft und Kunst treffen auf kreative Weise in den Themenkonzerten zusammen. Die 2010 begründete Reihe wird von dieser Spielzeit an in enger Kooperation zwischen der Bayerischen Staatsoper und unserem Innovationspartner Brainlab ausgerichtet und findet in der Unternehmenszentrale am Tower des ehemaligen Flughafens München-Riem statt.
Die Abende sind Dialoge zwischen zwei Ausprägungen des menschlichen Forscherdrangs: von der einen Seite her in Form von Vorträgen aus der Grundlagenforschung und der angewandten Wissenschaft, von der anderen mit Musik am Puls ihrer Zeit für Kammerensembles und ähnliche Besetzungen. In der Spielzeit 2023/24 gibt die Neuinszenierung von Mieczysław Weinbergs Oper Die Passagierin Anlass, das kammermusikalische Werk dieses erst seit anderthalb Jahrzehnten weithin wahrgenommenen Komponisten vorzustellen. Dem Thema Erinnerungskultur widmet sich die Bayerische Staatsoper verstärkt seit dem Forschungsprojekt „Wie man wird, was man ist“ – es ist aktueller denn je. Verschiedene Disziplinen aus dem weitgespannten wissenschaftlichen Netzwerk von Brainlab nähern sich in Vorträgen diesem Komplex von Fragen erinnernder Verantwortung, des menschlichen Gedächtnisses und seinen Strategien zum Überstehen existenzieller Krisen. Die Musik bringt die Persönlichkeit des sowjetischen Komponisten polnisch-jüdischer Herkunft zum Klingen, in Korrespondenz mit einem Werk seines Freundes und Förderers Dmitri Schostakowitsch und einer zentralen Komposition des amerikanischen Minimal-Music-Pioniers Steve Reich; zum Auftakt gibt es eine konzertante Darbietung der Kammeroper Lady Magnesia, einer schwarzen Komödie nach einem Text von George Bernard Shaw.
Kann man nicht schuldig sein? Kann man überhaupt schuldig sein? Schuld ist eine Kategorie zwischen Freiheit, Verantwortung, Handlungsfähigkeit, vor allem aber Zurechnungsfähigkeit. Dabei ist die Bandbreite sehr groß – religiös gesprochen macht sich der Sünder schon durch seine Existenz schuldig, weil seine Freiheit auch die Freiheit zur Sünde beinhaltet; rechtlich gesprochen bedarf es einer nachweisbaren zurechenbaren Schuld. Schuld setzt also einen individuellen Akteur voraus, der die Schuld auch hätte vermeiden können – und ist diese Vermeidungsmöglichkeit nicht gegeben, mindert das die Schuld. Religiös dagegen wird die Schuld nicht getilgt, aber in der Erlösung vergeben.
Wie aber geht man mit schuldhaften Verhältnissen um? Die juristische Aufarbeitung etwa des Nationalsozialismus konnte nur an individuellen Handlungen ansetzen, an einem eindeutigen Verhältnis von Absicht und Wirkung, nicht aber an kollektiver Verschuldung oder einer Schuld in den Verhältnissen. Schuld wird dann abstrakt, wenn man den Schuldigen in seinen Bezügen sieht, konkret wird sie, wenn diese Bezüge in das Leben der Menschen eingreifen, die man nur individuell als Schuldige denken kann.
Prof. Dr. Armin Nassehi ist seit 1998 Lehrstuhlinhaber am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München mit den Schwerpunkten Kultursoziologie, Politische Soziologie, Religionssoziologie, Wissens- und Wissenschaftssoziologie. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen: Das große Nein. Eigendynamik und Tragik des gesellschaftlichen Protests (Hamburg 2020), Unbehagen. Theorie der überforderten Gesellschaft (München 2021) und Gesellschaftliche Grundbegriffe. Ein Glossar der öffentlichen Rede (München 2023). Selbst passionierter Chorsänger, hat er vielfach auch für die Bayerische Staatsoper Essays verfasst – beispielsweise im Magazin Max Joseph, im Programmbuch zur Neuinszenierung von Die Meistersinger von Nürnberg und zuletzt in der Broschüre zum 500-Jahres-Jubiläum des Bayerischen Staatsorchesters – und an vielen Veranstaltungen, mehrmals etwa in der Reihe Unmögliche Enzyklopädie, mitgewirkt.
Auf gleicher Wellenlänge – Weinberg und Schostakowitsch
Die Jüdischen Lieder op. 13 von Mieczysław Weinberg entstanden 1943 in Taschkent. Nur allmählich erhielt der Komponist Kenntnis vom Schicksal seiner zum Großteil im Holocaust umgekommenen Familie: möglich auch, dass er sich im Exil seiner Identität versichern wollte. Gedruckt allerdings kamen die Lieder in russischer Übersetzung als „Kinderlieder“ heraus. Vielleicht wollte man nicht nur den jüdischen Charakter, sondern auch die bittere Botschaft hinter scheinbar naiven Zeilen verschleiern. Mit einem vitalen Gesang nur auf die Silben „Lalala“ beginnt der Zyklus. Auf die Texte des jiddischen Autors Jizchok Leib Perez Peretz geht es um Alltagssituationen: ein Wiegenlied, ein Gesang vom Brötchen, Spott über einen kleinen Jungen, der ein großer Jäger sein möchte. Das zeichnet Weinberg in einer Mischung aus Heiterkeit und Melancholie. Folkloreelemente wie Seufzermotive, übermäßige Tonschritte oder stampfende Tanzrhythmen werden durch metrische Verschiebungen oder dissonante Wendungen gebrochen. Der „Brief des Waisen“ ist soziale Anklage, wenn nicht gar Hinweis auf den Holocaust, der auch Weinberg zum Waisen machte. Harte Unisono-Gänge und Tremoli des Klaviers unterstreichen Dramatik und Kargheit zugleich. Die Wiederholung des Eingangsteils kann hier nur noch geflüstertes Echo sein, das trotzige Punktierungen beschließen.
Nachweislich beeinflussten die Lieder Dmitri Schostakowitschs Zyklus Aus jüdischer Volkspoesie. Er war ein Zeichen der Solidarisierung nicht nur mit der jüdischen unterdrückten Bevölkerung. Das „jüdische Thema“ in seinem Klaviertrio op. 67 ist Weinbergs Jüdischen Liedern op. 17 entlehnt und taucht auch in Schostakowitschs achtem Streichquartett auf, das er sich selbst als „Requiem“ zugedachte. Das Klaviertrio widmet er dem Andenken des Freundes Iwan Sollertinski. Dieser war als Programmgestalter der Leningrader Philharmoniker mit dem Orchester nach Nowosibirsk evakuiert worden. Noch am Vorabend seines plötzlichen Herztodes hatte er einführende Worte über Schostakowitschs achte Symphonie gesprochen, die nach dem Triumph der Leningrader die Grausamkeit des Krieges beklagt. Lamento und grelle Groteske treffen auch im Klaviertrio unmittelbar aufeinander. Es beginnt mit einem fernen Flageolettgesang des Cellos, zu dem sich die anderen Stimmen kanonisch hinzufügen. Ironisch-banale Themen erschüttern den folgenden Satz in seinem Ernst. Von aufgesetzter Fröhlichkeit ist das im Walzertakt vorbeijagende Scherzo, dem sich ein Largo voll ergreifender Trauertöne anschließt, eine Passacaglia. Doppelbödigkeit prägt auch das „jüdische“ Finale, in dem übersprudelnde Vitalität in Verzweiflung umschlägt.
Schostakowitsch und Weinberg pflegten sich jede neue Komposition zu zeigen, wechselseitige Einflüsse konnten da nicht ausbleiben. Weinbergs Klaviertrio op. 24 (entstanden 1945), nimmt sich das Werk des Älteren vor allem in der Verschmelzung barocker und folkloristischer Formen zum Vorbild. Es beginnt mit einem kraftvollen Praeludium, dem als Aria ein zarter Klagegesang der Violine folgt. Streicher und Klavier gehen in der Toccata unversöhnliche Konflikte ein; mit trivialen Tanzrhythmen gegen aufstörende unregelmäßige Metren. Im Poem begegnen sich Lamento, Choral und ein Motiv, das in seiner kleinschrittigen Trivialität dem Kopfsatz des Schostakowitsch-Trios stark ähnelt. Ebenso beginnt das Finale mit einer Fuge, die mehr und mehr vitale Spannung beginnt und in einen wilden jüdischen Tanz umschlägt – ein Walzer ist schattenhafte Erinnerung daran, von den harten Choralakkorden des Poems beschlossen. Was in formaler Beschreibung zunächst wie eine Nachbildung wirkt, hat doch in größeren Dimensionen seinen ganz persönlichen Klang und Ausdruck, in dem Verlorenes auf je eigene Weise beklagt wird.
Isabel Herzfeld