Philosoph der Bühne
Romeo Castellucci inszeniert Tannhäuser. Die Bilder seiner Produktionen erscheinen dem italienischen Regisseur im Geiste und als Ganzes. Kein schlechter Ansatz, um sich Wagner zu nähern, dem Propheten des Gesamtkunstwerkes.
aus: Engelsloge No. 33; Text: Sabrina Ehehalt
Spricht man ihn auf München an, kommt der Mann aus Cesena ins Schwärmen. „Eine Stadt von enormer Bedeutung für die Geschichte der Musik“, sagt er, und es ist zu spüren, wie sich hier aus eigenem Erleben gespeiste Euphorie Bahn bricht. „Schon meine Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsoper bei zwei Kunstinstallationen vor einigen Jahren empfand ich als äußerst angenehm. Und selbstverständlich lockt mich der Tannhäuser. Wagner ist ein Komponist, dem ich mich sehr verbunden fühle.“ Romeo Castelluccis Theater erzählt keine Geschichten, es will nicht illustrieren. Er kommt von der bildenden Kunst und schafft als Theaterregisseur seit den achtziger Jahren sinnliche, bildgewaltige Allegorien jenseits der simplen Dechiffrierbarkeit. „Ich bereite mich auf ein Projekt vor, indem ich mich zunächst vom Fluss der Emotionen mitreißen lasse, den die Musik in mir auslöst. Ich lasse mich selbst zum Opfer der Musik werden.“ Erst in einem zweiten Schritt folge die Vertiefung in den Stoff. „Der zweite Schritt führt mich zur Dramaturgie, zum Entwurf.“ Auf die Frage, warum er selbst stets als Regisseur, Bühnenbildner, Kostümbildner und Lichtdesigner in einem arbeite, lächelt Castellucci: „Das hat nichts mit meinem Ego zu tun. Diese Arbeitsweise ist für mich die einfachste. Die Bilder erscheinen mir im Geiste immer als Ganzes, ich sehe die Figur eines Sängers oder Schauspielers schon in einem bestimmten Kostüm, in einem entsprechenden Licht und in einem dazu passenden Raum. Die Kunst der Regie und der Inszenierung bilden eine Einheit, die notwendigerweise den Raum, das Licht und die Kostüme einschließt. Daher ist es für mich das Natürlichste, so zu arbeiten.“
Keine Zugeständnisse
Castellucci beschreibt sein dramaturgisches System als sehr präzise und ausgereift. Die Arbeit mit charakterstarken Sängerstars schrecke ihn daher nicht, auch nicht die Besetzung, die ihn beim neuen Münchner Tannhäuser erwartet: Klaus Florian Vogt, Anja Harteros, Christian Gerhaher, Georg Zeppenfeld und Elena Pankratova. „Ich freue mich über gute Sänger und bin immer für eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Musik, mit der Philosophie oder Dramaturgie eines Stückes zu haben. Was aber meine Grundgedanken und Bilder zu einem Werk angeht, kann ich kein noch so kleines Zugeständnis machen, das ergäbe keinen Sinn für mich. Ich würde es immer vorziehen, ein Projekt aufzugeben, wenn der Entwurf, den ich mir vorstelle, nicht so umgesetzt werden kann.“ Vor allem freue er sich auf die Zusammenarbeit mit Generalmusikdirektor Kirill Petrenko. Die klangliche Delikatesse und Tiefenschärfe Petrenkos entsprechen auf musikalischer Ebene Castelluccis Regiearbeit. „Der Klang ebnet den Emotionen den Weg, er überwindet das Denken und die Kontrolle. Der Klang berührt ganz direkt das Gemüt, ohne Barrieren. Die außergewöhnliche Komplexität einer Oper liegt in der Verschmelzung der vom Klang ausgelösten Emotionen mit den visuellen Elementen, also den Informationen, den Zeichen, die es zu entschlüsseln gilt. Der Klang, die Emotionen und die Informationen müssen eine Einheit, eine einzige Welle bilden.“ Gerade dadurch erklärt sich Castelluccis wiederholte Auseinandersetzung mit Richard Wagner in den letzten Jahren. „Wagner überwältigt uns. Seine Musik durchdringt uns und nimmt uns in Besitz.“
Immer am falschen Ort
Wagners Mythologie spielt eine zentrale Rolle bei Castelluccis Herangehen an den Tannhäuser. „Wagner ist Philosoph. Ich kann daher unmöglich eine illustrative Herangehensweise in Erwägung ziehen. Wagner geht es um universelle Themen, die sich auch auf unsere Epoche übertragen lassen. Das menschliche Schicksal und Zusammenleben, die Einsamkeit. Derartige Themen müssen von einem philosophischen Gesichtspunkt aus bearbeitet werden.“ Wagner liegt sozusagen genau auf einer Wellenlänge mit dem vielfach als „Philosoph der Bühne“ bezeichneten Italiener. Castelluccis Kunst sucht nach subtiler Ästhetik und gilt dabei dennoch als radikal. „Wir müssen versuchen, dieses Werk mit neuen Augen zu sehen. Ich versuche immer, keinen vorhersehbaren Standpunkt einzunehmen.“ Die Titelfigur des Tannhäuser sieht Castellucci als rastlos Umherirrenden, immer am falschen Ort: „Im Venusberg fühlt er sich unwohl und will zu seinen Rittern; im Palast ist er unglücklich, weil er an den Venusberg denkt; Als er Rom verlässt, vermisst er den Venusberg erneut. Und als er endlich zu seiner geliebten Elisabeth zurückkehren möchte, ist sie tot. Also stirbt er, um zu ihr zu gelangen.“ Tannhäuser empfinde eher die Schmerzen der Lust als deren Freude im Venusberg.
„Tannhäusers erste Worte haben eine Schlüsselfunktion: 'Zu viel, zu viel!'. Er versucht, dieser Falle zu entkommen. Der Venusberg steht für den Schrecken des Körpers, des Fleisches, der Haut.“ Der szenische Umgang Castelluccis mit dem menschlichen Körper ist ein besonderer. Nacktheit, Wunden und körperlichen Verfall zeigt er häufig in drastischen Bildern. „Auch die Dimension idealer Schönheit der Venus gibt es nicht mehr. Die Formen lösen sich auf, das wird auch in meinen szenischen Bildern sichtbar werden.“ Viel Bewegung wird es geben auf der Bühne und überraschende szenische Wandlungen. Im Mittelpunkt dabei: die unglückliche Liebe. Tannhäuser empfinde wahre Anziehung allein Elisabeth gegenüber, betont Castellucci. „Venus ist keine tatsächliche Figur. Sie erfüllt die Funktion, Tannhäuser Elisabeth entgegenzutreiben.“ Mit Verweis auf die griechische Tragödie zieht Castellucci die Quintessenz aus Wagners tragischem Stoff: „Es gibt in dieser Welt keine Möglichkeit, mit der geliebten Person zusammenzukommen. Wagner nimmt hier ein Element der griechischen Tragödie auf. Erst im Jenseits ist die Vereinigung möglich, und das ist es, was uns zum Weinen bringt. Wagner bringt uns zum Weinen!“