Gerd Uecker

geboren in München. Klavier-, Musikpädagogik- und Dirigierstudium an der Münchner Musikhochschule. 1969 Solorepetitor am Opernhaus Köln. 1970 Lehrauftrag am Rheinischen Musikkonservatorium Köln im Fach Oper. 1973 Musikdirektor und Leiter der Opernabteilung des Südostbayerischen Städtetheaters in Passau. An der Bayerischen Staatsoper 1979 Direktor des Musikalischen Bereichs, 1982 Leiter des Intendanzbüros, 1988/89 Künstlerischer Betriebsdirektor und Stellvertreter des Intendanten, seit 1993 Operndirektor.

Lehrtätigkeiten in Venedig, Stockholm, Warschau, Peking, Helsinki, an der Musikhochschule Stuttgart, an der Bayerischen Theaterakademie sowie an der Hochschule für Musik und Theater in München.

Ab 2003 Intendant der Sächsischen Staatsoper Dresden (Semperoper).

Nachruf auf Gerd Uecker

Gerd Uecker, der langjährige ehemalige Operndirektor der Bayerischen Staatsoper und Intendant der Semperoper Dresden, ist am 17. Januar nach schwerer Krankheit im Alter von 77 Jahren verstorben. Gerd Uecker war Münchner durch und durch: In seiner Geburtsstadt hat er die Schule besucht, hier hat er studiert (Klavier, Musikpädagogik, Dirigieren) und – nach Lehr- und Gesellenjahren im rheinischen Köln und im niederbayerischen Passau – seine Meisterzeit verbracht, und hier hat er, vor, während und nach seinem Wirken als Intendant der Semperoper Dresden, weiterhin unterrichtend an der Musikhochschule und an der Theaterakademie gewirkt. Seine Verbindung mit der Bayerischen Staatsoper begann 1979, zunächst als Direktor des Musikalischen Bereichs (mit Verantwortung für Orchester, Chor, Einstudierungsteam, Notenbibliothek). 1982 wurde er zusätzlich Leiter des Intendanzbüros, bei einem dirigierenden Intendanten eine Position von herausragender strategischer Bedeutung – und von 1993 bis 2000 amtierte er als Operndirektor. Er hat mithin über zwei Jahrzehnte lang die Programmatik und die künstlerische Physiognomie des größten deutschen Opernhauses maßgeblich gestaltet, an der Seite zweier Intendanten – Wolfgang Sawallisch und Sir Peter Jonas –, die verschiedener kaum gedacht werden können. Auch das spricht Bände für Gerd Ueckers geistiges Format im ästhetischen Universum des Musiktheaters. Sein Tun und Handeln war geprägt von Kultiviertheit, breiter Bildung und einer überwältigend großen, warmen Menschlichkeit.

Die Zeit bringt es mit sich, dass fast ein Vierteljahrhundert später die Erinnerung an gemeinsame Arbeit nurmehr bei einzelnen noch lebendig ist; nicht mangels Gedächtnisleistung, sondern aufgrund der natürlichen Fluktuation in einem Metier, das sich der flüchtigsten aller Künste verschrieben hat. Doch umso intensiver sind die Eindrücke gespeichert bei denen, die Gerd Uecker aus eigenem Erleben begegnet sind. „Ein feiner Mensch“ sagen viele, gefragt nach Erinnerungen an Gerd Uecker; ein herzlicher, humorvoller Mann des Ausgleichs sei er gewesen, der mit großer Ruhe, dabei stetig unbeirrt wirkte, mit stets besonders großem Gespür für kleinste Details. Auch gut bayerisch Granteln habe er gekonnt – doch mit ein paar grummelnden Sätzen, manchmal auch bloß einer leicht umwölkten Stirn mehr bewirkt als andere mit mehrminütigen Schimpftiraden. Mit seinem ausgleichenden Wesen habe er auch aufgewühlte emotionale Wogen, wie sie in der Oper vorkommen mögen, mit seinem gelassen zielgerichteten Problemlösen besänftigt.

Dank seiner musikphilologischen Genauigkeit und seiner theaterpraktischen Beharrlichkeit hat er für alle nachfolgenden Inszenierungen von Lucia di Lammermoor mit der Münchner Neuproduktion von 1991 einen Markstein gesetzt: In der Wahnsinnsarie der Titelpartie erklang erstmals die vom Komponisten ursprünglich vorgesehene Glasharmonika, die seit der Uraufführung durch eine Flötenstimme ersetzt worden war. Gerd Uecker setzte sich beim Intendanten Wolfgang Sawallisch, beim Geschäftsführenden Direktor Dr. Roland Felber und beim Dirigenten Michel Plasson dafür ein und engagierte den Glasmusiker und Instrumentenbauer Sascha Reckert, der dieses spezielle Instrument bis heute in großen Opernhäusern von Paris bis New York und in den Aufführungen an der Bayerischen Staatsoper spielt.

Als Theaterleiter hatte er, nach vieljähriger Praxiserfahrung schließlich in der Intendantenliga angelangt, in Dresden noch vor Beginn schwere Schicksalsschläge zu verkraften. Sein auserkorener Chefdirigent Giuseppe Sinopoli – als Inbegriff des „Musicus doctus“ intellektuellster Dirigent nicht nur seiner Generation und dank seines profunden Wissens wie kaum einer prädestiniert für die Position dieses so traditionsreichen Hauses – starb noch vor Amtsantritt am Dirigierpult der Deutschen Oper Berlin. Mit Herbert Wernicke, auch er eine singuläre Erscheinung unter den Musiktheatermachern seiner Zeit, hatte der designierte Intendant weitreichende Pläne gesponnen, doch der Regisseur erlag 2002 plötzlichen Komplikationen seiner Erkrankung. Wie tapfer und mutig Gerd Uecker mit dieser Hypothek umging, hat die Semperoper Dresden in ihrem Nachruf auf berührende Weise gewürdigt.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Dresdner Amt rückte eine andere Aufgabe Gerd Ueckers in den Vordergrund; denn die blieb, bis fast zum Ende, seine eigentliche: nach dem vielzitierten Sprichwort die Flamme weiterzureichen, Hilfestellungen zu geben, Talente vorzubereiten und Chancen zu zeigen. Stillschweigende Voraussetzung dabei: das Brennen für die schönste Kunst von allen in der Überzeugung, Musik sei „eine heilige Kunst“ (Hugo v. Hofmannsthal) – nicht, weil sie auf einem Altar angebetet werden will, sondern weil sie gesegnet ist, alle Sinne anzusprechen, die Menschen ans Herz zu rühren und dabei Seele und Geist zu erleuchten.

Gerd Uecker war nicht nur ein feiner, er war auch ein außerordentlich vielseitiger und fleißiger Mensch. Er hat Seminare gegeben, Vorträge gehalten, Kollegen geehrt, Bücher geschrieben; sein konzises Bändchen über Puccini (erschienen im Beck-Verlag) liegt bei allen Dramaturgen griffbereit im Regal. Überdies war er ein feinfühliger und virtuoser Pianist.

Außerdem hat er über Jahre als Direktor der deutschsprachigen Opernkonferenz lobbyistische Kärrnerarbeit geleistet, um unserer Kunst nicht nur den ihr zustehenden Stellenwert in der Gesellschaft zu verleihen, sondern ihr Potential für die Gesellschaft wirksam zu machen. Wir haben in all den Jahren unendlich viel von ihm lernen können. Und wir alle, im Opernmetier oder außerhalb, stehen nun da und müssen versuchen, eine Lücke zu füllen, die man vor ihm gar nicht als solche erkannt hätte. Wir wollen uns bemühen. Wenn es ein Leben nach dem Tode gibt, mögen himmlische Heerscharen ihm ein Loblied singen, wie wir es nie könnten.

M. K.