Ein komponierter Rückblick
auf ein Künstler-Leben
Fotografie von Li Hui
Sebastian Weigle
Gedanken zur Musik von Die Liebe der Danae
Fotografie von Li Hui
Sebastian Weigle
Gedanken zur Musik von Die Liebe der Danae
Auf den ersten Blick ist Die Liebe der Danae ein recht komödiantisches Stück – eben eine „heitere Mythologie“ – über einen gewissen Spagat zwischen echter Liebe und schnöder Mammon- Obsession, hier: Gold-Obsession. Eine Kombination von mythologischen, auch komischen Themen und philosophischen Betrachtungen über die Werte des Lebens und die Vergänglichkeit von Reichtum und Macht: Echte Liebe zählt am Ende doch mehr als aller materieller Besitz.
Das alles im Stil einer spätromantischen Oper: teilweise sehr lyrisch, dann wieder keck, fast frech, voll Humor und Ironie. Die Eingangsszene der Gläubiger und des Königs Pollux könnte fast eine politische Sitzung irgendwo auf der Welt heute sein. Wenn sie da über die Frage „Was wird denn nun aus dem pleite gewirtschafteten Staat?“ diskutieren, dann ist das heute vielleicht aktueller, als man auf den ersten Blick denkt.
Es ist allerdings alles nicht ganz leicht zu verstehen: Der Librettist Joseph Gregor war im Vergleich zu Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig und Clemens Krauss (der kurzfristig den Text für Capriccio übernahm) nicht der beste Partner und Zuarbeiter für Richard Strauss. Oft ist der Text verkopft und schwer nachvollziehbar, manchmal ist einem auch nach mehrmaligem Lesen einer Zeile kaum klarer als vorher, was der Librettist ausdrücken wollte … Strauss forderte von Gregor so eindringlich wie oft vergeblich „mehr Leichtigkeit und Grazie und weniger Schwulst und Bombast“. Ersteres lieferte er dann selbst durch seine geschickte Musiksprache.
Musikalisch ist und bleibt Danae eine große Herausforderung: Die Partitur ist teilweise abenteuerlich anspruchsvoll für das Orchester und die Gesangstimmen; insbesondere die Partien von Danae und Jupiter sind sehr umfangreich und mit Wagner-Partien wie Sieglinde oder Elsa bzw. Wotan / Wanderer vergleichbar. Die Partien der vier Königinnen, die fast immer im Quartett singen, sind harmonisch immer wieder überraschend gesetzt und mit den Sängerinnen nicht ganz einfach „übereinanderzukriegen“.
Der Dirigent Clemens Krauss hat 1944 bei den Proben für die geplante Uraufführung Transpositionen für Hans Hotter, den Sänger des Jupiter, vorgenommen, ihm also einige Abschnitte der Partie tiefer gesetzt. Diese Änderungen, denen Strauss nur sehr widerwillig zugestimmt hat, sind in der Uraufführung 1952 und auch in späteren Produktionen oft übernommen worden, aber für einen Bariton mit guter Höhe ist auch das Original machbar.
Strauss blickt in Die Liebe der Danae komponierend zurück auf sein langes künstlerisches Leben:
Einige inhaltliche Motive hat er schon in früheren Opern benutzt, das der Verwandlung zum Beispiel in Die Frau ohne Schatten und Daphne. Der goldene Zweig, den Midas im ersten Akt an Danae sendet, könnte das Äquivalent der silbernen Rose im Rosenkavalier sein.
Natürlich gibt es Anklänge an Daphne – die Oper, die unmittelbar vor Danae entstand und ebenfalls ein Thema aus der griechischen Mythologie behandelt –, zum Beispiel an den Übergang zu Gaeas Auftritt im ersten Akt. Am Ende von Daphne ist die Titelfigur ganz allein, ihr Schlussgesang endet als textlose Vokalise; in Danae ist in der Schlussszene auch diese Titelfigur allein und singt nur noch den Ruf „Midas“.
Der Beginn des dritten Aktes könnte auch in Arabella, Rosenkavalier oder Die Frau ohne Schatten stehen: ein swingender, walzerähnlicher Einstieg. Im ersten Akt steht sehr keck der „Tanz der Pagen“: quasi ein Menuett, aber im 5 / 4-Takt statt im üblichen 3 / 4-Takt – und von Strauss als „Marsch“ bezeichnet!
Aber auch Strauss’ „Selbstporträts“ – Symphonia domestica, Ein Heldenleben – findet man in Danae. Viel Autobiographisches ist hier mitverarbeitet worden: Themen vom Altern, von Resignation und Verzicht. Anrührend gezeichnet ist der Abschied Jupiters von Danae, der in seinem leichten musikalischen Duktus an die Vier letzten Lieder erinnert: Musik einer endenden Ära.
Kompositorisch faszinierend ist Danaes Traum vom Goldregen, das Zwischenspiel im ersten Akt. Strauss zeigt hier seine große Meisterschaft in der Instrumentierung: ein Stück Musik von metallischem Duktus mit hohen Flöten, Glockenspiel, Celesta, Klavier. Viele herabfallende Tonleitersequenzen markieren den Fluss, kurze markante Goldmotivtropfen stehen dazwischen.
Sehr komplizierte polyphone Chorpartien stehen neben ganz schlichten Melodien. Im dritten Akt singen die vier Königinnen einen mehrteiligen dreistimmigen Kanon („Wie sehr er scherzt, der göttliche Freund“). Warum ausgerechnet einen Kanon? Einerseits sind die Königinnen Figuren wie aus einer Spieloper; es ist ein Stilmittel der Komik, wie hier jede die andere imitiert. Gleichzeitig ist die strenge Form des Kanons eine technische Spielerei, ein Bezug auf frühe Zeiten der Musikgeschichte, den Strauss in seiner absoluten Beherrschung der Form hier „nebenher“ einflicht.
Ganz besonders eng ist die musikalische Verbindung natürlich zwischen Richard Strauss und Richard Wagner. Die Verbindung von Gold, Macht und Reichtum gibt es auch in Wagners Rheingold. Bis hin in die einzelnen Figuren sind die Parallelen gezogen. Strauss’ Merkur hat etwas von Wagners Loge, sowohl als Charakter als auch in der Gesangsfarbe: der Ratgeber, der den Gott in andere Bahnen lenken möchte und im Konversationston singt; ein spielerischer Duktus, eine leichte, durchsichtige Orchestrierung, kleine Notenwerte. Die vier Königinnen und die drei Rheintöchter: eine stets gemeinsam singende Kleingruppe, die kommentiert, spöttelt, für häufige Stimmungswechsel sorgt. Und wollte Strauss mit Jupiters Abschied nicht auch Wotans Abschied komponieren? Zufällig sind all die Assoziationen jedenfalls nicht.
Wagner wie Strauss arbeiten mit Leitmotiven, bei Strauss ist es nur weniger direkt wahrnehmbar, subtiler. Quer durch die Oper zieht sich der „Goldzauber“ („Was je du berührst, zur Lippe du führst, hold oder unhold, werde zu Gold“), den fast jede der Figuren irgendwann zitiert und der bei jedem ein wenig anders klingt.
Jupiter wird oft von einem Motiv begleitet, das mit dem Vertrag in Verbindung steht, den er mit Midas geschlossen hat. Ganz besonders präsent ist dieses Motiv in dem Moment im zweiten Akt, in dem der Goldzauber sich gegen Midas und Danae wendet und Danae zur goldenen Statue erstarrt. Ein akkordisch begleitetes Viertonmotiv, eng um sich kreisend, in der dunklen Sonorität der tiefen Blechbläser. Im ersten Akt, als Jupiter Danae zum ersten Mal anspricht, steht das Motiv in Dur, hier im zweiten Akt steht es in Moll.
Wenn Jupiter am Ende des zweiten Aktes seine große Abschiedsrede an Danae hält, ist er erhaben und majestätisch dargestellt, musikalisch klar abgegrenzt zu der Sphäre der Menschen, über die er sich so abfällig äußert. Am Ende der Szene ist das verknappt auf zweimal vier Takte Gegensatz: „Götterschicksal war euch geboten“ – aufwärtsstrebende Triolen der Blechbläser, reines Des-Dur. „Menschenschicksal habt ihr gewählt“ – ein dissonanter, unaufgelöster Akkord, der in jagende Tonleitern übergeht.
Danae wird anfangs vor allem über das Motiv des Goldregens definiert. Ab ihrem Auftritt im zweiten Akt, wenn sie mit „Niemand rief mich“ nach und nach begreift und zu ihrem Entschluss für Midas gelangt, erweist sich ein Motiv, das schon manchmal versteckt anklang, als das Motiv der „erwachsenen Danae“, zuerst sehr zögerlich und einsam im Englischhorn.
Midas und Danae singen in der ersten Szene des dritten Akts, nachdem er ihr endlich erklärt hat, wer er ist und wie er zu ihr kam, ein Duett in vollständiger Übereinstimmung („So führ’ ich dich mit sanfter Hand“): eine sehr einfache tonleiterartige Melodie im Unisono. Ein Duett, das sehr an das anrührende Duett von Arabella und Mandryka „Und du wirst mein Gebieter sein“ in Arabella erinnert. In Danae kennzeichnet das Motiv aus diesem Duett ab hier immer Danae und Midas gemeinsam – und es ist auch das Motiv, mit dem die Oper endet.
Die einzelnen Szenen der Oper werden durch teilweise opulente Zwischenspiele verbunden, die meisterlich komponiert sind und eine sehr zentrale Rolle für die Oper spielen: Sie schaffen emotionale und dramaturgische Verbindungen, sie verdichten das eben Gehörte – und ermöglichen natürlich theaterpraktisch die Abgänge und Auftritte von Protagonisten. Welch ein Könner ist da am Werk! Man sollte diese Zwischenspiele viel öfter im Konzertsaal spielen, auch über die Zusammenstellung hinaus, die Clemens Krauss als „Symphonisches Fragment aus Die Liebe der Danae“ herausgab. „Es war der letzte, unvergessliche, schönste Abschluss meines künstlerischen Lebens“ – was für eine Aussage von Strauss nach der Generalprobe von Die Liebe der Danae!