„Wie umgibst du mich mit Frieden“?

Fotografie von Li Hui

Matthew Werley
Kontext, Entstehung und Vermächtnis von Die Liebe der Danae

 

Die Liebe der Danae (1944 / 1952) und ihr älteres Schwesterwerk Die Frau ohne Schatten (Uraufführung 1919) nehmen in Richard Strauss’ OEuvre eine Sonderstellung ein: als Bühnenwerke von außer­ordentlicher Komplexität, die einen aufwändigen musiktheatralischen Apparat erfordern, tiefe philosophische Inhalte vermitteln wollen und letztlich Wendepunkte in der Operngeschichte markieren. Beide Werke entstanden im Kontext von Weltkriegen und tragen die Spu­ren einer Dissonanz zwischen der fantastischen (oder mythologi­schen) Geschichte auf der Bühne und der harten Alltagswelt jenseits des Theaterraums. In seiner Rezension der Wiener Uraufführung von Die Frau ohne Schatten versuchte Egon Wellesz, die gesellschaft­liche Bedeutung dieser Oper für das Nachkriegspublikum in Worte zu fassen:

„Sie ist eine Festoper, wie die alten Barockopern, geeignet, den Zuhörer über seinen Menschentag hinauszuheben, für Stunden wenigstens die Verwandlung zu schaffen, welche die Brücke zwischen Traum und Wirklichkeit aufhebt.“

Dieselben Begriffe könnten auch auf die halböffentliche General­probe von Die Liebe der Danae bei den Salzburger Festspielen im August 1944 angewandt werden, die im Schatten der Auswirkungen des „Erlass des Führers über den totalen Kriegseinsatz“ stattfand – mitten im letzten Akt des Staates in einer politischen Götterdäm­merung, die er selbst heraufbeschworen hatte.


„ES ERINNERT … AN NICHTS AUF DER WELT“

Die Idee zu Danae entstand im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs: Nachdem Hugo von Hofmannsthal Strauss im September 1915 den Text für den dritten Akt von Die Frau ohne Schatten geliefert hatte, begann – an fertigen Werken gemessen – eine Pause in ihrer Zu­sammenarbeit, die mehr als sieben Jahre andauerte, bis im April 1923 die Arbeit an Die ägyptische Helena sie wieder zusammen­führte. Bald aber, nachdem die Tinte auf Strauss’ Partitur von Die Frau ohne Schatten getrocknet war, machte Hofmannsthal eine erste Notiz: „14. XII. 1917. Danaë. Operette“. Weitere Gedanken folg­ten in rascher Folge: „Die Prinzessinnen alle heimatlos[,] weil ein Krieg alles entwurzelt“. Offensichtlich suchte er nicht nur eine Mög­lichkeit, an die Themen der Frau ohne Schatten anzuknüpfen, sondern musste sich auch mit den vier Jahren des verheerenden Kriegs auseinandersetzen. Tatsächlich entwickelte sich das Konzept in fast 50 Einzelnotizen diffus, bevor er dem Komponisten schließlich am 30. April 1920 ein Szenarium Danae oder Die Vernunftheirat / Kleine Oper in drei Akten für Richard Strauss schickte. Das Wesen seiner Danae beschrieb er im Januar 1920 so: „Das Ganze bewegt sich zwischen dem Mythischen, dem Gold und Geld und der Ironie des Geldes und dem orientalischen Märchen hin und her – es erinnert an griechische Vasen, an Raimund, (sehr entfernt) an Gozzi und an nichts auf der Welt.“

Der Gedanke, eine Operette oder heitere Oper mit mythologischem Inhalt zu schreiben, war von Strauss selber gekommen: 1916 versi­cherte er Hofmannsthal, „Talent zur Operette“ zu haben, und bat ihn, „eine politisch-satirische Parodie“ zu schreiben. Nach 1918 gefiel ihm die Idee, die Weimarer Regierung aufs Korn zu nehmen, und er schlug Hofmannsthal im Juni 1919 vor:

„[I]ch hätte so gern eine politische Satire im spätgriechischen Gewande, mit [der Sopranistin Maria] Jeritza als Lukianische Hetäre – die heutigen Operetten-Regierungen schreien nach Vertonung und Verhöhnung.“

Solcherlei Aussagen über das Verhältnis von Oper und Politik sind in Strauss’ Schriften selten zu finden, vor allem in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, als er Co-Direktor der Wiener Staatsoper war.

Hofmannsthals Danae-Projekt konnte Strauss allerdings offenbar nicht begeistern – es gibt keinen Hinweis, dass die beiden je über den zugesandten Entwurf gesprochen hätten. Es entstanden nach Die Frau ohne Schatten stattdessen die Oper Intermezzo und das „Heitere Wiener Ballett“ Schlagobers, zu denen Strauss die Libretti selber schrieb. Der in der Idee der mythologischen Operette ent­haltene gesellschaftskritische Grundimpuls sollte sich jedoch nicht nur in einer, sondern in zwei folgenden Opern von Strauss und Hofmannsthal entfalten: Die ägyptische Helena (1928) und Arabella (1933). Erstere allegorisiert das Thema der Versöhnung nach den Trojanischen Kriegen (= Erster Weltkrieg), während letztere explizit mit oberflächlichen Elementen der Wiener Operette wie der Fiaker- Szene im zweiten Akt und dem Ambiente der 1860er Jahre spielt.
 

IMPULSE UND ENTSTEHUNG

Arabella war auch das Werk, das, lange nach Hofmannsthals Tod im Jahr 1929, den Anlass dafür lieferte, dass Strauss’ Interesse an dem Danae-Stoff erwachte: Im Frühjahr 1936 fand in Zürich ein Strauss- Festival statt, bei dem Strauss eine Wiederaufnahme von Arabella dirigierte. Am selben Tag freundete er sich mit Willi Schuh an, Musik­wissenschaftler und Journalist der Neuen Zürcher Zeitung, der sein offizieller Biograf werden sollte. Schuh drückte ihm noch an diesem 8. Juni 1936 ein Exemplar der Zeitschrift Corona von 1933 in die Hand, in der das Szenarium erstmals abgedruckt war. Schuh, der den Komponisten zweifellos mit seiner tiefen Kenntnis von Hof­mannsthals Bühnenwerken beeindrucken wollte, wies auf die Ähn­lichkeiten zwischen Danae oder die Vernunftheirat und Arabella hin, die beide von bankrotten Vätern handeln, die von Gläubigern verfolgt werden und einen Ausweg suchen, indem sie einen reichen Bräuti­gam für ihre Tochter finden. Bald nachdem Strauss wieder in Gar­misch-Partenkirchen war und die Partitur des von Stefan Zweig und Joseph Gregor verfassten Friedenstag (1938) fertiggestellt hatte, schrieb er am 23. Juni an Gregor: „Aber etwas Anderes! Kennen Sie Hofmannsthals Opernentwurf: Danae […]? Ein reizender Stoff, den ich gerne noch componieren möchte.“

Im Winter 1937 schrieb Strauss an seinen Sohn: „Diese Hofmanns­thal-Operette reizt mich doch.“ Aus dem 16 Jahre alten Entwurf Hofmannsthals einen brauchbaren Operntext zu machen, erwies sich aber für diejenigen, die nicht mit dem verstorbenen Dichter zusammengearbeitet hatten, als eine schwierige Aufgabe. Nach der „Brief-Affäre“ im Juli 1935 – Strauss hatte für die Uraufführung der Schweigsamen Frau durchsetzen können, dass der Name des jüdi­schen Autors Zweig auf den Plakaten erschien, musste aber wenige Tage später als Präsident der Reichsmusik-kammer zurücktreten, nachdem ein Brief an Zweig vom 17. Juni abgefangen worden war, in dem Strauss Zweig zur weiteren Zusammenarbeit überreden wollte und u. a. schrieb, er „mime“ den Präsidenten der Reichsmusik­kammer nur – hatte sich Strauss stillschweigend darauf verlassen können, dass Zweig dem nun offiziellen Librettisten Gregor, den er selber vorgeschlagen hatte, bei den nächsten beiden Opern Frie­denstag und Daphne (1938) hinter den Kulissen literarische Unter­stützung leisten würde.

Die Liebe der Danae wurde zum ersten Operntext, den Gregor völlig ohne Zweig schrieb. Obwohl Gregor einige entscheidende Beiträge zur Handlung leistete (wie z. B. das reale Auftreten Jupiters auf der Bühne und damit die Schaffung eines Liebesdreiecks zwischen ihm, Danae und Midas), wurde allmählich klar, dass die Talente des ge­lehrten Theaterhistorikers anderswo lagen. Nicht weniger als sechs Co-Autoren waren schließlich an der Entstehung des Danae-Textes beteiligt: Neben Gregor redeten der Komponist selbst, die Regis­seure Lothar Wallerstein und Rudolf Hartmann und der Dirigent Clemens Krauss bei einem Libretto mit, das Hofmannsthals Szena­rium am Ende nicht mehr in vielen Elementen glich, obwohl insbe­sondere Strauss immer wieder ein „Zurück zu Hofmannsthal“ an­mahnte.

Am 13. März 1938, einen Tag nach dem „Anschluss“ Österreichs, begann Strauss in Meran (Südtirol) zu kompo-nieren. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, befand sich Strauss in Baden bei Zürich, wo er die Partitur zu Akt I (7. September 1939) fertigstellte, und später in Garmisch, wo er Akt II (20. November 1939) und Akt III (28. Juni 1940) abschloss, womit die letzten Seiten der Partitur ungefähr mit den Schlachten um die Niederlande und Dünkirchen zusammenfielen.

SALZBURGER FESTSPIELE 1944

Wie bei Die Frau ohne Schatten wurde beschlossen, mit Einstudierung und Premiere zu warten, bis wieder Frieden herrschte. Bei der Ur­aufführung von Capriccio im Oktober 1942 konnte Clemens Krauss Strauss jedoch zu einer Aufführung der Danae bei den Salzburger Festspielen 1944 bewegen, „als Festaufführung zur Feier Ihres 80. Geburtstages“. Wie Krauss dem Komponisten bestätigte: „Ich habe  über diese unsere Abmachung heute an Herrn Minister Dr. Goebbels geschrieben, dessen besonderer Wunsch es ja war, die Uraufführung für Salzburg zu gewinnen.“

Die Dokumente um die Vorbereitungen zur geplanten Uraufführung 1944 sind keine leichte Lektüre: Als Gesamtdirektor der Salzburger Festspiele schrieb Krauss seine Briefe aus dem Rokoko-Schloss Leopoldskron, dem von den Nazis beschlagnahmten Wohnsitz von Max Reinhardt, der dort von 1918 bis 1938 gelebt hatte und am 31. Oktober 1943 im New Yorker Exil gestorben war. Im März 1944 musste Krauss Strauss berichten, dass viele der frisch gedruckten Partituren und Klavierauszüge von Danae am 20. Februar bei einem Luftangriff auf Leipzig in der Druckerei vernichtet worden waren, und im Juli, dass in München angefertigte Kulissen bei einem Bom­benangriff verbrannt seien.

Strauss äußerte sich gegenüber Krauss im März 1944 dennoch vor­sichtig optimistisch: „Daß ,Danae‘ doch noch Aussichten hat, freut mich sehr – da werde ich diese letzte Ur[aufführung] unter Ihrer Leitung vielleicht doch noch erleben“. Trotz der schwierigen Um­stände beruhigte den Komponisten die praktische Erfahrung Rudolf Hartmanns, der seit 1937 Regisseur an der Bayerischen Staatsoper war und dem vor Danae auch die Uraufführungen von Friedenstag und Capriccio in München anvertraut worden waren. Hartmann be­richtete Strauss am 25. Juli 1944:

„Trotz aller Schwierigkeiten und Störungen schritt die Arbeit an der ‚Danae‘ gut vorwärts und wir sind soweit, daß wir von dem schwierigen Werk, das mir manche harte Nuß zu knacken gab, den Rohbau fertiggestellt haben.“

Diese Zusicherungen stammen vom selben Tag, an dem der „Erlass des Führers über den totalen Kriegseinsatz“ herauskam und Hitler Goebbels zum „Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegsein­satz“ mit ausgedehnten Machtbefugnissen ernannte. Vier Tage später teilte Krauss mit, dass die Salzburger Festspiele größtenteils abgesagt worden seien: „Mit dem Entfall der geplanten [Mozart]- Opernaufführungen […] sowie der Serenaden und Schubertiaden ist zu rechnen. Hingegen laufen die Proben zu ‚Die Liebe der Danae‘ weiter.“ Durch Vermittlung des Vizepräsidenten der Reichsmusik-kammer Heinz Drewes durfte an der geplanten Strauss-Urauffüh­rung festgehalten werden. Am 14. August ordnete Joseph Goebbels dann doch kurzfristig die Absage der Premiere an; nach Interven­tion von Krauss beim Salzburger Gauleiter Scheel durfte schließlich am 16. August 1944 zwar nicht die Premiere, aber eine Generalprobe vor geladenen Gästen stattfinden. Strauss wandte sich, wie viele Augenzeugen berichtet haben, an die Wiener Philharmoniker und nahm von ihnen Abschied mit den Worten: „Vielleicht sehen wir uns in einer besseren Welt wieder!“ An Schuh, der nicht aus Zürich anreisen konnte, berichtete er, die Generalprobe sei „ein ‚einmaliges‘ Ereignis von kulturhistorischer Bedeutung“ gewesen und als „eine Aufführung zu charakterisieren, die in dieser Vollendung auf der deutschen Bühne nicht so bald wieder erscheinen wird.“
 

STRAUSS’ GOLDSTANDARD?

Die offizielle Uraufführung der Oper fand acht Jahre später, am 14. August 1952, wiederum bei den Salzburger Festspielen statt, mit demselben Dirigenten und im selben Bühnenbild. Krauss und Hart­mann, die nun gewissermaßen als Strauss’ posthume Botschafter fungierten, brachten die Produktion anschließend direkt von Salzburg nach Wien. Zu den Opernfestspielen 1953 brachte Hartmann, nun Intendant der Bayerischen Staatsoper, die Oper im Prinzregenten­theater München heraus. Die Münchner gastierten mit Danae im selben Jahr auch in Zürich und London, während die Wiener Staats­oper im Mai 1953 Danae in Paris zeigte – sodass also innerhalb eines Jahres nach der Uraufführung das Publikum fast aller großen euro­päischen Opernzentren die letzte unaufgeführte Strauss-Oper zu sehen bekam.

Die Oper zeigt Strauss in seiner ganzen künstlerischen Kraft und enthält vielleicht sein tiefstes künstlerisches Vermächtnis. Er selbst berichtete Schuh im September 1944:

„Am III. Akt […] möchte ich mir doch das (wohl von Allen gebil­ligte) Lob spenden, daß er zum Besten gehört, was ich je ge­schrieben habe. Für einen 75jährigen ein recht hübscher Stolz. Schöne poetische Melodie fließt den ganzen Akt in reifer Jugend […] und besonders das Nachspiel nach Jupiters Versöhnung mit Merkur dürfte vielleicht auf die besten Ehrensockel der Musikgeschichte placiert werden.“

Strauss bezeichnete Danae einmal als „griechische Götterdämme­rung“, und die Schlussszene zwischen Danae und Jupiter fasst ein Theaterleben zusammen, das im Jahr 1890 mit seiner von Wagner inspirierten Bearbeitung von Glucks Iphigenie auf Tauris begonnen hatte. Anfangs hieß die Oper „Danae oder die Vernunftheirat“; Strauss überlegte zunächst, die Oper „Jupiters letzte Liebe“ zu nennen, be­vor er sich am 28. Mai 1939 für den Titel Die Liebe der Danae ent­schied. Mit einer kostbaren Währung, die den Göttern nicht zur Verfügung steht, entsteht als Goldstandard von Strauss’ lebens­langem Theaterwerk ein Humanismus, der auf Hoffnung und mensch­licher Liebe gründet.

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Matthew Werley

Der Musikwissenschaftler und Kulturhistoriker Dr. Matthew Werley lebt in Salzburg und lehrt u. a. an der University of Cambridge, der Temple University Philadelphia und der Paris Lodron Universität Salzburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind neben Richard Strauss u. a. das Werk der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal und Stefan Zweig, die Kulturpolitik des „Dritten Reichs“ und die Geschichte der Salzburger Festspiele. Er ist Mitherausgeber des Richard Strauss-Jahrbuchs und Generalsekretär der Internationalen Richard-Strauss-Gesellschaft.

DIE LIEBE DER DANAE