Trionfo della morte?

Christian Longchamp über die Apokalypse in Le Grand Macabre (nach Gesprächen mit Krzysztof Warlikowski)

Fotografie: Serhii Tyaglovsky

Wir alle spüren wohl, dass wir seit Jahren in einer Zeit der Auflösung demokratischer Strukturen leben, dass uns eine beispiellose Klimakatastrophe bedroht, ganz zu schweigen von Kriegen mit geradezu apokalyptischen Folgen. Auf die große Zäsur des 11. September 2001 folgte in den vergangenen zwanzig Jahren eine ganze Reihe von Tragödien, aber es drängt sich der Eindruck auf, dass wir augenblicklich mehr denn je am Rande eines Abgrunds wandeln. Denken wir an die Invasion der Ukraine durch Russland und den Krieg, den es dort führt, begleitet von den regelmäßigen Drohungen Putins, die Atombombe einzusetzen. An den Schrecken des Terrorangriffs durch die Hamas, bei dem fast 1.200 Israelis getötet wurden, und an Israels Antwort darauf. Noch sind die Erinnerungen an die COVIDPandemie präsent, mit den leergefegten Straßen in den Hauptstädten der Welt, der häuslichen Quarantäne und den Masken. Dann ist da die Künstliche Intelligenz, die uns zuweilen glauben macht, der menschliche Verstand habe ausgedient angesichts des außergewöhnlichen Potentials, das diese technologische Revolution verheißt.

Aber das ist noch nicht alles. Denn das Schüren von Ängsten in der Bevölkerung ist eine Strategie populistischer Parteien. Angst zahlt sich an den Wahlurnen aus. Zu den düsteren Weltnachrichten kommen die alltäglichen Gewalttaten hinzu. Die besten Verbündeten der Populisten sind die Nachrichtenseiten, die sozialen Netzwerke und das Internet. Anarchisch, aber sehr effektiv wurde dort eine Strategie der Angst entwickelt und vervielfacht, um die Bevölkerung auf machiavellistische Weise zu verführen. Es ist daher äußerst schwierig, der Anziehungskraft von Informationen und Bildern von Katastrophen zu widerstehen, und es ist schwer, sich dem allgemeinen Eindruck des Zerfalls oder der Auflösung der westlichen Gesellschaften zu entziehen. Uns werden Beschreibungen von Gewalt in den Städten und Serienmorden aufgedrängt, die sich in anderen Ländern oder sogar auf anderen Kontinenten ereignen und die zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen auf unser tägliches Leben haben. Und doch wirken sich diese Nachrichten durch die Angst, die sie erzeugen, psychologisch auf unser Verhältnis zu anderen Menschen aus, insbesondere zu denen, die wir nicht kennen, zu denen, die uns den Populisten zufolge nicht ähnlich sind: zu Migranten. Der Andere wird zu einer Gefahr. Und um jede kritische Distanz besser zu ersticken, haben es sich die Nachrichtensender zur Gewohnheit gemacht, uns im selben Moment mit mehreren beängstigenden Nachrichten unter Beschuss zu nehmen. Die Emotion muss über die Vernunft dominieren. Die Beunruhigung muss so permanent sein, dass sie uns in einen Zustand krankhafter Morbidität und terrorisierten Dahinsiechens versetzt und wir das Gefühl bekommen, die Demokratie sei gescheitert. Die extreme Rechte liegt bereits auf der Lauer. Der Ruf nach dem starken Staat wird immer lauter. So schnell wie möglich muss ein Führer, ein Prophet, ein Anführer her. Unter Missachtung aller Freiheiten. Mit Angst zu regieren ist eine Strategie, die früher von der Kirche und heute von den Populisten praktiziert wird.

Die Stadt Neapel lebt unter der ständigen Bedrohung eines Vulkanausbruchs, der nicht nur für ihre Bevölkerung, sondern auch für einen Teil des Mittelmeers erschreckende Folgen hätte. Einer der besorgniserregendsten Supervulkane der Welt befindet sich in den Campi Flegrei, weniger als 30 km von Neapel entfernt, an der Stelle, an der vor kurzem die Erde gebebt hat. Es war das stärkste Beben seit 40 Jahren. In der Stadt reden alle über die bevorstehende, erschreckende Apokalypse. Sie kann morgen, in 20 Jahren, in 100 Jahren oder in 500 Jahren stattfinden. Die Bevölkerung lebt mit diesem Albtraum. Curzio Malaparte beschreibt in seinem Roman Die Haut auf geniale und erschreckende Weise die Auswirkungen des Ausbruchs des Vesuvs im März 1944. In einem Ausnahmezustand der Angst, ja des Terrors, ändert die Bevölkerung ihr Verhalten völlig, es zeigen sich extremste Haltungen, in Gebeten wie in Schreien, in Gewalt wie in Niedergeschlagenheit, alles, was im Schatten Neapels lebte, wird sichtbar. Die Annäherung an den kollektiv erlebten Tod führt zu allen möglichen Exzessen.

Im Palazzo Abatellis, der heute die Galleria Regionale della Sicilia beherbergt, Siziliens größtes Museum, für dessen Innengestaltung der Architekt Carlo Scarpa verantwortlich zeichnete, befindet sich ein großes Fresko (6 x 6 Meter), Il trionfo della morte (Der Triumph des Todes). Es handelt sich um ein Werk von außergewöhnlicher Qualität aus der Mitte des Quattrocento (15. Jahrhundert) von einem Künstler, der bis heute nicht identifiziert werden konnte. Das für den Innenhof des Palazzo Sclafani entworfene Werk überstand die Zerstörung des Gebäudes, für das es gemalt worden war, durch die Bombenangriffe im September 1943. Eine Reproduktion des palermitanischen Trionfo della morte inspirierte Picasso zu seinem Gemälde Guernica, der Apokalypse einer baskischen Kleinstadt unter dem Beschuss der Nazis und Faschisten im Frühjahr 1937. Auch ein anderer bedeutender Künstler war davon beeindruckt. Im Gegensatz zu Picasso war dieser Künstler im 16. Jahrhundert nach Palermo gereist, um das große Fresko im Palazzo Sclafani zu sehen: Peter Breughel der Ältere. Der flämische Künstler schuf seinen eigenen Triumph des Todes, der sich nun im Prado-Museum befindet. Während auf dem Fresko in Palermo eine einzelne Todesfigur zu Pferd mit Pfeilen auf Musiker, Gelehrte, Hofdamen, Jäger mit ihren Falken und Kirchenmänner zielt, um zu unterstreichen, dass der Tod jeden Moment auftauchen und jeden von uns treffen kann, ist der Tod in Breughels Version des Bildes überall. In dieser apokalyptischen Vision greifen Legionen von Skeletten, die vom Tod auf seinem Pferd angeführt werden, die Lebenden in einem erbitterten Kampf an. Pieter Breughel der Ältere inspirierte den belgischen Schriftsteller Michel de Ghelderode zu der Idee des Fürstentums Breugelland aus La Balade du Grand Macabre, als Hommage an denjenigen, den er neben Hieronymus Bosch als den größten Künstler bezeichnete, den Flandern je gekannt hat.

Die religiöse Malerei wurde lange Zeit als Bilderbuch für Analphabeten verwendet. Sie musste an die Macht Gottes erinnern, an die ewige Verdammnis der Hölle und an die ständigen Gefahren, denen Frauen und Männer ausgesetzt waren, die gegen die göttlichen Gebote verstießen. Die religiöse Malerei war ein Diskurs im Dienste der katholischen Ideologie. Wir haben es in jenem einzigartigen geschichtlichen Augenblick gesehen, als der Humanismus der italienischen Renaissance sich am Ende des 15. und im 16. Jahrhundert durchsetzte. Davor, im Mittelalter, waren die Darstellungen des Todes zu Pferd im Schwange, als Schilderung der Folgen der Pestepidemie, die Europa 1348 traf. Und auch danach, in einer doppelten Reaktion auf die Freiheiten des Humanismus und auf die Gefahr, die Luthers Reformation für Rom darstellte, machte die Gegenreformation die Malerei wieder zu einer ideologischen Waffe. Breughel, dieser durch Italien geprägte Künstler aus dem Norden, hatte mehr als alle anderen die italienische Malerei und ihre mittelalterliche Darstellung des Todes im Kopf, wie er sie in sublimierter Form in Palermo oder in den Volkstraditionen in Flandern gesehen hatte.

Ligeti hat für sein Breughelland Figuren erfunden, die, ähnlich wie die von Ghelderode geschaffenen, von Breughels Gemälden inspiriert sind. Es handelt sich um karikaturale, exzessive Figuren. Sie gehören zur schwarzen Farce, zur Groteske, zum Marionettentheater, das sowohl Ligeti als auch Ghelderode liebten. Für unsere Produktion des Grand Macabre in München mussten wir zunächst versuchen, uns von dieser so typischen Welt zu entfernen, um einen Kontext zu schaffen, in dem wir Theater machen konnten. Krzysztof Warlikowski hat sich eine Gemeinschaft vorgestellt, eine Gemeinschaft, die im Laufe der Aufführung wächst, in einem geschlossenen Raum. Es ist sowohl ein schützender Raum, ein Zufluchtsort, aber es ist auch ein geschlossener Raum, ein Raum, der bestimmten Regeln folgt. Wir stießen auf alte Fotos von Gebäuden auf Ellis Island, der Insel vor New York in der Nähe von Liberty Island, auf der die Freiheitsstatue steht. Ellis Island war für alle Immigranten, die mit dem Schiff in die Vereinigten Staaten kamen, der obligatorische Durchgangsort. Ein Ort des Wartens, der Hoffnung, wahrscheinlich auch ein Ort, an dem in den Erinnerungen der Migranten die Welt von früher, die Welt vor dem Aufbruch, weiterlebte. Ein Ort der Zuflucht vor dem großen Neuanfang. Ein Ort der Hoffnung, aber zweifellos auch ein Ort, an dem das Unbekannte Angst auslöste.

 György Ligeti war 16 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg begann. Sein Bruder starb im Lager Mauthausen. Sein Vater im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Sein Onkel und seine Tante starben in Auschwitz. Seine Mutter hingegen überlebte das Lager Auschwitz-Birkenau. Ligeti begann seine Karriere als Komponist mit einer Familie, die durch den Nationalsozialismus dezimiert wurde. Er wurde erst nach der Apokalypse der Shoah zum Künstler. 1956 floh Ligeti von Ungarn nach Wien, um einer neuen Katastrophe zu entgehen, dem Einmarsch und der Unterdrückung seines Landes durch die sowjetische Diktatur. Er wird später zugeben, dass ein Teil seiner Musik „den Abdruck einer langen Zeit trägt, die er im Schatten des Todes gelebt hat“. Die Idee des Jüngsten Gerichts faszinierte ihn in seiner Kindheit und kristallisierte mit ihrer Suggestion schrecklicher Bilder seine Ängste heraus. Ein Besuch im Prado-Museum in Madrid im Jahr 1961 offenbarte ihm die außergewöhnlichen malerischen Vorstellungswelten von Bosch und Brueghel dem Älteren, denen er immer sehr verbunden bleiben sollte. Ein weiterer Meister der flämischen Malerei deutscher Herkunft, Hans Memling, und insbesondere dessen Jüngstes Gericht, ein außergewöhnliches Triptychon aus den Jahren 1465–1470, das heute in Danzig aufbewahrt wird, hatte einen festen Platz in seinem persönlichen imaginären Museum. 1965 schuf Ligeti eines seiner Hauptwerke, das weder tonal noch atonal ist, eine Reflexion über den Tod, ein Requiem für Orchester, großen Chor, Sopran und Mezzosopran. Das Requiem wird in Stockholm uraufgeführt, jener Stadt, in der 1978 auch Le Grand Macabre das Licht der Welt erblicken wird.

Der japanische Filmemacher Hirozaku Kore-eda hat einen Film mit dem Titel After Life gedreht. In diesem Film betreten Frauen und Männer einen ihnen unbekannten Ort und warten dann in einem Raum darauf, dass sie aufgerufen werden. Diese Frauen und Männer sind Tote. Sie werden von anderen Toten empfangen, mit denen sie sprechen und ihre liebste Erinnerung teilen, bevor sie diesen Ort für den endgültigen Tod verlassen. Ein unbekannter Ort, ein Übergangsort, ein Schutzraum zwischen zwei Welten.

Das Werk von Paul Klee faszinierte Ligeti. Der Aufbau seiner Kompositionen, die Freiheit, mit der sich der Schweizer Künstler zwischen Abstraktion und figurativer Darstellung bewegte, die seltsame poetische Schönheit seiner Landschaften, die ergreifenden Figuren, die aus seinen musikalischen Träumereien entstehen, diese Welten, die durch subtile Farbspiele vibrieren – all das faszinierte den Komponisten. Paul Klee starb 1940. Eines seiner letzten Werke ist Tod und Feuer. In der Mitte des Bildes, das der Ausschnitt einer prähistorischen Höhlenwand sein könnte, springen uns die herausquellenden Augen eines weißflächigen Gesichts mit einem grinsenden Lächeln an. Eine Maske begrüßt uns zu einer Reise in die andere Welt, eine Reise, zu der sich die Figur im Hintergrund anschickt. Dieses burleske und düstere Wesen hält mit seiner rechten Hand auf Höhe seiner Stirn einen Kreis, eine Kugel, einen Feuerball. Einen Meteor?

Lars von Trier drehte seinen Film Melancholia im Jahr 2011. Dieser Film ist zweifellos einer der schönsten unter den Filmen, die sich mit dem Ende der Welt beschäftigen. Die angekündigte Kollision zwischen dem Planeten Melancholia und der Erde führt dazu, dass zwei Frauen und der Sohn einer der Frauen schließlich in einer einfachen Holzhütte, die sie „magic cave“ nennen, auf den Tod warten – eine Hütte, um den unausweichlichen Tod zu empfangen, eine Hütte, von der aus man den Tod sehen kann. Es handelt sich um einen intimen Tod. Ein Tod, der in Wagners Tristan und Isolde seinen Vorläufer hat. Bei Ligetis Le Grand Macabre ist das Ende kollektiv, das Ende wird von einer Gemeinschaft geteilt, wie die von Neapel angesichts des Ausbruchs des Vesuvs. Und die musikalische und formale Sprache des ungarischen Komponisten führt uns an einen anderen Ort (er sagte über Wagners Musik, dass sie „keinen Platz“ in seinem Herzen habe). In dem geschlossenen Raum, in dem die verängstigte Gemeinschaft zusammengefunden hat, kommen die zügellosesten Ausdrucksformen zum Vorschein, auch Sex. Und die Tragik kann auf diesem schillernden Narrenschiff nur zusammen mit der Komik erscheinen.

Vor dem Beginn der Oper ist etwas passiert. Es hat bereits etwas Beängstigendes stattgefunden, das Menschen dazu veranlasst hat, diesen Raum zu betreten und zu warten. Da ist dieses verliebte Frauenpaar, Amando und Amanda, in deren intimem Begehren etwas von dem anklingt, was Lars von Triers „magic cave“ heraufbeschwört: ein Ort der Intimität, ein lächerlicher, aber beruhigender Schutz vor der Zerstörung. Es gibt einen Propheten namens Nekrotzar, der allen die Vernichtung des Lebens noch am selben Abend ankündigt, eine Behauptung, die später durch die wissenschaftlichen Beobachtungen des Astronomen Astradamors bestätigt wird.

Während es in den ersten beiden Szenen der Oper um die Ankündigung der Apokalypse geht, ist die dritte und längste Szene die des Aufstands und des versuchten Staatsstreichs des Volkes gegen den Prinzen und seine Minister. Der Bühnenraum ist demnach gleichzeitig der Raum der Zuflucht, des Sex, also der geteilten Ekstase, der alkoholisierten Verzweiflung von Piet, der Offenbarung des (falschen?) Propheten Nekrotzar, der sadomasochistischen Liebe von Mescalina und Astradamors, der Erscheinung der Venus, des Volksaufstands gegen die Macht und des ... Endes.

Es ist der Raum, in dem alle Dämonen in dem Augenblick, in dem der Tod zuschlagen wird, zum Vorschein kommen, aber auch der Raum für eine Abfolge von Happenings.

Und was passiert in der vierten und letzten Szene? Hat die Menschheit ihr Ende gefunden? Ist das alles wirklich passiert? Hat die Apokalypse stattgefunden? War es Piets berauschende Fantasie? Ist die Zivilisation untergegangen und hat ein paar Spuren für Archäologen aus der Zukunft oder für Besucher von einem anderen Planeten hinterlassen?

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Christian Longchamp

Christian Longchamp ist Dramaturg, Kunstwissenschaftler und Essayist. Mit dem Regisseur Krzysztof Warlikowski arbeitet er seit mehreren Jahren zusammen. Parallel zu seinen Aktivitäten in der Welt der Oper schreibt er über Zeitfragen und historische Problemstellungen, über die Gegenwart und die Zukunft Europas. 2023 veröffentlichte er den Sammelband Pour une autre Italie für die Zeitschrift La Règle du jeu.

LE GRAND MACABRE

Oper in zwei Akten (1978)