„ES GEHT UMS MENSCHSEIN IM GANZEN“
Fotografie: Margarita Galandina
Lesedauer: ca. 10 Min.
Das fasziniert Brett Dean an Hamlet – dem dänischen Prinzen, der dem Wahnsinn verfällt. Wie aus der existenziellen Geschichte um Rache und Tod eine Oper entstand, verrät der Komponist im Interview.
Was hat Sie daran gereizt, aus Shakespeares Drama Hamlet eine Oper zu machen?
Für mich als Komponist ist es eine der größten Herausforderungen überhaupt, das passende Thema für eine neue Oper zu finden. Die Frage ist natürlich, passend zu was: Passend zu der Zeit, in der wir leben, zur Situation der Welt, passend zu den Sänger:innen, mit denen man arbeiten möchte, oder passend zur eigenen Persönlichkeit? In der Zeit nach der Entstehung meiner ersten Oper Bliss, die 2010 von der Opera Australia uraufgeführt wurde, war ich eine Weile auf der Suche nach einem neuen Stoff. Nachdem die Idee einer Hamlet-Oper im Raum stand, war ich aufgrund der Größe des Werkes zunächst unentschlossen und beriet mich mit Freunden und Bekannten. Letzten Endes waren dann die Begeisterung meiner Ehefrau Heather Betts und ihre Liebe zu diesem Text ausschlaggebend. Sie ist Malerin und fing an, sich näher mit dem Stück zu befassen, entwickelte Skizzen und Gemälde zu dem Thema, die mich wiederum sehr inspirierten. Sie stellte auch die Frage in den Raum, wie wohl Shakespeare ein solches Unterfangen kommentiert hätte. Vermutlich hätte er gesagt: „Toll, mach das!” Letztlich konnte ich so meine Sorgen zerstreuen und mich dem Thema widmen.
Wie nähert man sich einem solch bedeutenden und riesigen Werk wie Hamlet an?
Selbstverständlich kannte ich Hamlet als Schullektüre. Nun begann ich tiefer in das Stück einzutauchen, zahlreiche Inszenierungen anzuschauen, Mitschnitte und live im Theater, und mich mit verschiedenen künstlerischen Auseinandersetzungen zu beschäftigen. Insbesondere die fantastische Produktion der Berliner Schaubühne in der Regie von Thomas Ostermeier mit Lars Eidinger in der Hauptrolle beeindruckte mich sehr, eine überaus heutige Inszenierung, gleichzeitig sehr witzig.
Worin lag bzw. liegt für Sie die Faszination dieses Stoffs?
Eine große Faszination für Hamlet besteht für mich darin, dass es ein Psychodrama ist, in einer Art, mit der wir uns noch immer identifizieren können. Erstmals in der Theatergeschichte gibt eine Figur enorm viel von sich preis, so viel Geheimes, so viel Privates, so viel Philosophisches. Das Stück bietet viel Platz für Musik, ist ein wunderbarer Absprungspunkt, um zu komponieren.
Ist Hamlet mit seiner nachdenklich melancholischen Weltabgewandtheit vielleicht geradezu prädestiniert dafür, eine Opernfigur zu werden?
Man muss sich in der Oper ja tatsächlich mit der Frage beschäftigen, warum Figuren singen, und muss gute Gründe dafür finden, dass etwas singenswert ist. Dafür fand ich den Text tatsächlich sehr geeignet, auch aufgrund der zahlreichen Selbstgespräche Hamlets wie etwa dem berühmten „To be or not to be, that is the question“, in denen sich ein Mensch danach fragt, was sein Leben ausmacht, wie er damit zurecht kommen und sich darin zurechtfinden kann.
Und seine Geliebte Ophelia?
Es war meinem Librettisten Matthew Jocelyn und mir wichtig in der Oper zu zeigen, dass Ophelia keine schwache Figur ist, und sie als Gegenrolle zu Hamlet zu entwerfen. Das, was sie zu sagen hat, trägt viel Stärke in sich, viel mehr als man in den meisten Aufführungen zu sehen bekommt. Sie bringt vieles auf den Punkt, ist eine vielschichtige Figur. Es interessierte mich auch, das in sie zu tragen, was über sie gesagt wird und was andere über sie denken. Während der frühen Phase unserer Beschäftigung mit Hamlet entstand das Streichquartett And once I played Ophelia, in dem ich mich ebenfalls intensiv mit dieser Figur auseinandersetze.