MICH INTERESSIERT DER FOKUS AUF ALLES MILITÄRISCHE NICHT
Interview mit Regisseur Damiano Michieletto
Lesedauer: 8 min.
Giuseppe Verdi und Antonio Ghislanzoni zoomen unvermittelt in einen bestehenden Konflikt, wir steigen mit der ersten Szene direkt in die militärische Handlung ein.
Wie lesen Sie den militärischen Konflikt zweier Nationen in Aida?
Ich interpretiere ihn als Bürgerkrieg. Die Menschen sind auf Gewalt nicht vorbereitet. Der Tod entfaltet eine so verheerende Wirkung, weil er in den Alltag, in die Familien einbricht, Kinder nicht verschont. Den Stoff möchte ich nicht als militärische Geschichte, sondern als etwas vermitteln, das der Zivilbevölkerung widerfährt.
Die Gesellschaft, wie ich sie in Aida zeige, trifft sich an einem symbolträchtigen Ort der Stadt, der durch den Konflikt in Schutt und Asche gelegt wurde. Zuvor hatte man sich dort zum Spielen getroffen, zum Vergnügen und zur Zerstreuung, seine Freizeit hier verbracht. Jetzt stehen dort Särge und es liegen Verletzte in dem Raum. Und es finden Zeremonien und Überlegungen darüber statt, wozu der Mensch letztlich existiert.
Verdis Musik stellt zwei Welten gegeneinander: die intime Liebesgeschichte und die brachiale, monumentale Kriegshandlung, die die Ebene der politischen Macht miteinschließt.
Verdi hat seiner Musik sicherlich einen bewusst triumphierenden Charakter verliehen, weil Aida ein Auftragswerk war. Denken wir an die Olympischen Spiele, dort werden sehr aufwändige Festakte veranstaltet.
Müsste jemand ein Werk zur Einweihung eines Stadions komponieren, die erste Inspirationsquelle wäre wohl Aida.
Aber das ist eine Frage der Perspektive auf das Werk.
Mich interessiert der Krieg als Fokus auf alles Militärische nicht, mich interessieren die Folgen von Krieg und Gewalt für die Figuren, die Handelnden. Im Triumphmarsch wird der Sieg gefeiert, ja, aber auch der bringt Verluste und Niederlagen mit sich. Man ehrt hier die Tapferen, die die Insignien des Krieges tragen. Die Erfahrung des Krieges hat infolge unmenschlicher Handlungen sowohl Seelen traumatisiert als auch Körper verstümmelt.
Die Liebesgeschichte zwischen Aida und Radamès ist verwoben mit der Dynamik dieses Krieges. Wie hängt beides für Euch zusammen?
Ihre Geschichte ist eine kleine Geschichte in einem größeren Erzählrahmen. Eine Privatsache innerhalb einer öffentlichen Angelegenheit. Das Schicksal des Einzelnen wird also von einer größeren Macht bestimmt. Sind die beiden frei?
Nein, sind sie nicht. Ihre Entscheidungen werden gesteuert, und, was bei Verdi ja keine Seltenheit ist: am Schluss dieser großen Geschichte der Massen erpressen die Eltern ihre eigenen Kinder.
Ein Leitmotiv, das sich in seinen Werken öfter findet. Man denke hier nur an Rigoletto, La Traviata oder Luisa Miller. Auch Aida wird von ihrem Vater gezwungen, Radamès zu verraten.
Welche Rolle spielen Ramfis und Amonasro?
Ich habe Ramfis seine übliche religiöse Funktion genommen. Er ist hier insofern Gegenspieler von Radamès, weil er sich zum wahren politischen Drahtzieher entwickelt.
Als Berater des Pharaos prägt er dessen Entscheidungen. Am Ende nimmt er Amneris zur Frau – was er auch von Anfang an vorhatte. Den Brautschleier, den Amneris bei ihrer Vermählung mit Radamès tragen wollte, wird sie zur Eheschließung mit einem Anderen tragen. Amonasro ist mit Blick auf den Pharao die Kehrseite der Medaille:
Hier gibt es keine offenkundig Guten und Bösen. Die einen wie die anderen pochen auf ihre Machtansprüche und führen so ihr Volk ins Verderben.