Kieth Engen

Kieth Engen (5.4.1925 bis 2.9.2004)

Ein Nachruf von Ronald H. Adler

Ein großer Künstler und ein großer Mensch ist gestorben. Mit seiner sonoren Baßstimme rührte Kieth Engen die Seelen seiner Zuhörer. Durch die Kraft seines suchenden, religiösen Geistes begeisterte er sein Publikum.

An der Bayerischen Staatsoper trat Kieth Engen während vierundvierzig Spielzeiten auf. Die Aufnahme des erst 30-jährigen norwegisch-amerikanischen Sängers, der in Kalifornien, Zürich und Wien studiert hatte, als Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper war keine Selbstverständlichkeit. Denn das Ensemble in jener Spielzeit, 1955/1956 rühmte sich einer erlauchten Riege von  Sängerinnen und Sängern, die die Bayerische Staatsoper in Europa und in der gesamten Opernwelt berühmt machte - Künstler wie Erika Köth, Marianne Schech, Herta Töpper, Hans Hotter, Hans Hopf, Richard Holm, Christel Goltz, Sari Barabas, Lorenz Fehenberger, Walter Carnuth, Lilian Benningsen, Anneliese Rothenberger, Leonie Rysanek, Kurt Böhme, Gottlob Frick, Ferry Gruber, Benno Kusche, Paul Kuen, Joseph Metternich, Albrecht Peter, Max Proebstl, Karl Schmitt-Walter, Franz Klarwein, Joseph Knapp waren seine Kollegen.

Aber der junge Bass Kieth Engen überzeugte. In seiner ersten Spielzeit sang er fünf Partien in vierunddreißig Vorstellungen. In der zweiten kamen zwölf Partien in 79 Vorstellungen hinzu. Die nächsten drei Spielzeiten zählten jeweils 109, 111 und 115 Auftritte.

An der Bayerischen Staatsoper gestaltete Kieth Engen in jenen und den darauf folgenden Jahren die großen klassischen Partien des Bassfaches: Herzog Blaubart, Don Alfonso, Don Giovanni, König Heinrich, König Phillip, Raimondo, Seneca, den Sprecher und Sarastro, Banquo, Zaccahria, Pater Guardiano, den Eremiten, Mephisto, Don Fernando, den Doktor in Wozzeck und nicht zu vergessen seinen geliebten und beliebten Grafen Almaviva in Figaros Hochzeit und La Roche in Capriccio.

In zehn Jahren, bis zur Spielzeit 1965/1966, hatte Kieth Engen über 60 Partien an 863 Abenden gesungen. Von seinen Kollegen war er für seine Kunst verehrt und für seine Person geliebt

Er erhielt für seine Leistungen 1962 den Titel Bayerischer Kammersänger sowie den Bayerischen Verdienstorden.

Zu seinen vielen Liederabenden und Oratorienauftritten stellte er kraft seiner darstellerischen Begabung, imposanter Figur wie auch einer umfangreichen literarischen Kenntnisse zahlreiche weitere Charaktere auf den Bühnen und bei Gastspielen der Bayerischen Staatsoper dar. Den König und den Kerkermeister in Carl Orffs Die Kluge, Aleef in Werner Egks Irische Legende, Teresias, Kofel, Christopher Columbus, Okeanos in Prometheus, Pistola in Falstaff, den Marquis im Prokofieffs Der Spieler, den legendären Boten in Orffs Antigone, den urkomischen Basilio im Barbier von Sevilla, den noblen Publio in La clemenza di Tito, Arkel, Donner, Farfallo. Sein besonderes Interesse zeigte er auch immer wieder für die zeitgenössische Musik. Bis zu seinem Abschiedsauftritt als Gemeindevorsteher in Aribert Reimanns Das Schloss 1996 zählte man über 125 Partien und 2122 Vorstellungen.

Allein diese Zahlen sind Zeugnis für das außergewöhnliche Talent, den unermüdlichen Fleiß und die Hingabe des Sängers. Aber Kieth Engen  brachte noch zu jeder Partie und zu jedem Auftritt das Besondere, weswegen man seine Vorstellungen besuchte. Das gesungene Wort gestaltete er nicht nur mit einer genauen, intensiven Deklamation sondern darüber hinaus mit der Flamme und dem trefflichen, widerhallenden Klang des suchenden und gläubigen Geistes.

Ich durfte Kieth Engen über zwanzig Jahre persönlich kennen. Jede Begegnung mit ihm war durch seinen unerschütterlichen Wohlmut, seine grundlegende Güte und seine gelassene Weisheit geprägt. In ihm konnte ich stets die Konzentration auf das Wesentliche, den Ausschluss des Trivialen, die Liebe zur Musik, zum Leben und zum Menschen erleben

Wir danken Kieth Engen für seine Hingabe zum Gesang, für die Weitergabe seiner Kunst, für das Geschenk vieler Stunden beseelter Musik, für das Dasein seiner großen, ausragenden und einnehmenden Person.
Und wir verabschieden uns.

R.H.Adler
10. September 2004