Rede zum Gedenken an Sir Peter Jonas
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Staatsintendant Dorny,
liebe Barbara Burgdorf,
liebe Monica Melamid,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Sir Peter in diesen Filmaufnahmen zu sehen, bewegt mich sehr.
Wie sehr er diese Auftritte liebte, die kleinen, wenn er für eine Ansage vor den Vorhang trat, und die großen Auftritte an Silvester, mit denen er sich bei Ihnen, seinem Publikum, bedankte. Diese Filme von Barbara Burgdorf, Kai Bernhöft und Martin Pfeil rufen uns seine Lebensfreude, seine Spiellust und seine besondere – Coolness in Erinnerung.
Mich erinnern diese Filmbilder auch daran, dass Peter Jonas ein großer Erzähler war. Ich habe es geliebt, ihm zuzuhören. Bei ihm zu sitzen auch in den Momenten, in denen er seine Geschichte schweigend fortspann.
Je älter er wurde, desto größer wurde auch sein Fundus an Geschichten. Er warf Aperçus in Gespräche ein und verführte seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit Erzählungen von Situationen, in denen er Eigenartiges oder Bemerkenswertes erlebt hatte.
Von einem solchen Erlebnis plauderte er, als wir an einem sonnigen Frühlingstag durch Zürich liefen. Die Begebenheit hatte sich mit keiner anderen als Queen Elizabeth zugetragen, die von ihrem Land in den vergangenen Tagen – gerade gestern Abend mit der Platinum Party am Buckingham Palace – so fulminant geehrt wurde. Es wäre naheliegend anzunehmen, sie habe die English National Opera und eine ihrer Aufführungen besucht. Aber nein, das war nicht der Fall. Die britische Königsfamilie – so hatte mir Peter Jonas maliziös zugesteckt – sei eher für ihre Opernferne bekannt, bevor er selbst mit der nun folgenden Erzählung seine eigene Stichelei gegen die Royal Family widerlegte.
Er war der Queen bei einem Empfang begegnet und hatte sie formvollendet begrüßt. Natürlich wusste Queen Elizabeth, wer vor ihr stand, hatte doch Peter Jonas das Amt des General Managers der English National Opera vom Cousin der Queen, Lord Harewood, übernommen. Die Queen also erkundigte sich, welche Oper an diesem Abend gespielt würde. »Die Hochzeit des Figaro«, antwortete ihr Jonas, und die Queen wiederum entgegnete ihm: »Ist das nicht das Stück mit der Nadel?«
Mit dieser kenntnisreichen Frage beeindruckte ihn die Queen tief, spielt doch die »unglückselge kleine Nadel«, wie sie Barbarina in ihrer Cavatine besingt, eine entscheidende dramaturgische Rolle. Peter Jonas liebte die Queen für ihre Frage. Er war ihr aber auch für die Wertschätzung seiner Leistungen für die Oper zutiefst dankbar.
Es war in Anerkennung seiner Verdienste für dieses Haus, für die Bayerische Staatsoper München, für die Queen Elizabeth Jahre später Peter Jonas in den Adelsstand erhob.
Dieser Ritterschlag »for services as General Director of the Bavarian State Opera« bedeutete für ihn, den im rauen Londoner Süden geborenen Sohn von Emigranten, die Anerkennung seines Heimatlandes par excellence. Peter Jonas erhielt die Ehrung für seine Verdienste um das Haus, für das gearbeitet zu haben, er bis zu seinem Tod als Privileg, ja, als Geschenk empfunden hatte – und dessen Mitarbeiterschaft ihn respektvoll zumeist „den Sir“ nannte.
»Celebrating Sir Peter« –
zu diesem Auftrag – dass die Feier, die Freude und die Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit, nicht die Trauer um den Verlust dieses großen Mannes, heute als Leitmotiv erklinge – dazu hat Peter Jonas seine Familie und Freunde bereits lange vor seinem Tod verpflichtet. Mit diesem Ansinnen hat er ihnen viel abverlangt, ja, möglicherweise manche auch überfordert; gerade als er Freunde und Weggefährten im Herbst vor seinem Tod ein letztes Mal einlud, gemeinsam mit ihm das Leben und die Freundschaft zu feiern.
Peter Jonas hatte seine Freundinnen und Freunde, aber auch die Öffentlichkeit zuvor über seine erneute und diesmal – so stand es zu vermuten – finale Diagnose informiert. Er musste sich erneut für Behandlungen aus dem öffentlichen Leben zurückziehen:
»Wenn nichts von mir zu hören ist, bedeutet das nur, dass ich – unbescheiden wie ich bin – kämpfe. Ich will meine ablaufende Pacht auf dieser Erde nicht beenden – noch nicht.«
Seine Pacht liefe ab, aber er, er wolle sie noch nicht beenden; so sah Peter Jonas seine Lage.
Er hatte das Bild »unserer Pacht auf dieser Erde« einem Gedicht Shakespeares entliehen, das ihm lieb und teuer war und das wir heute von seinem ältesten Freund Sir Mark Elder interpretiert hören werden. »Arme Seele, Mitte meines sündigen Seins – Warum treibst du allein für kurze Zeit solch einen Aufwand?« – »so short a lease«, schrieb Shakespeare.
Es ist das Motiv des memento mori, das uns an die Unausweichlichkeit des Todes erinnert. Seit seiner ersten Krebsdiagnose im Mai 1976 hat Peter Jonas den Tod als steten Begleiter nie verdrängen können. Seine über alles geliebte Schwester Kathryn war zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Jahre tot. Ihren Verlust spürte er gerade in den Tagen vor seinem Tod in besonderer Schärfe.
Sie, die große Schwester, nahm ihn viele, wichtige Jahre lang an die Hand. Sie war es gewesen, die ihm einen Film empfohlen hatte, der Symbolkraft für sein Leben bekam: Es war Das siebente Siegel.
In Ingmar Bergmans Film kehrt der Ritter Antonius Block erschöpft von den Kreuzzügen in sein Heimatland zurück. Zutiefst desillusioniert lässt er sich auf einen Handel mit dem Tod ein. »Der Ritter, der mit dem Tod Schach spielt, das bin ich«, bekannte Jonas. Das Bild des Intellektuellen auf der Suche nach Gott traf ihn ins Mark – bereits lange bevor ihn Prince Charles im Namen der Queen zum Ritter schlug.
»Dies ist meine Hand. Ich kann sie bewegen, und das Blut pocht in ihr. Die Sonne steht noch immer hoch am Himmel, und ich, ich, Antonius Block, spiele Schach mit dem Tod«, hatte der Ritter ausgerufen, als er sich dafür entschied, den Aufschub, den ihm das Schachspiel mit dem Tod gewährte, »für eine einzige sinnvolle Handlung« nutzen zu wollen.
Im Gedenken an seine Schwester widmete Peter Jonas sein Leben der einzigen, für ihn möglichen sinnvollen Handlung: der völligen Verpflichtung auf die Kunst der Oper.
Peter Jonas gehörte zu den führenden Theatermenschen seiner Generation. In einer Branche, die für die Wechsel ihrer Führungskräfte das Bild des Intendantenkarussells gefunden hat, ist sein Lebensweg mit nur drei Stationen eine rare Ausnahme.
An diesen drei Stationen aber, dem Chicago Symphony Orchestra, der English National Opera und hier, der Bayerischen Staatsoper München, hat er Überragendes geleistet.
Als ich an Sir Peter mit dem Ansinnen, seine Biografie schreiben zu wollen, herantrat, hatte ich diese Stationen vor Augen. Ich wusste um seinen Migrationshintergrund, seine Krebserkrankungen; er selbst hatte – immer bis zu einem bestimmten Maß, wohl dosiert – in Interviews darüber gesprochen. Ich kannte seine offizielle Geschichte.
Was für ein Schicksal sich hinter seinen plaudernden Erzählungen verbarg, welche Abgründe und welche Zufälle, wieviel Glück sein Leben ausgemacht hat, das war mir zu Beginn nicht bewusst gewesen.
Seine Biografie zu schreiben, bedeutete für mich, sein Sterben zu begleiten. Zu erleben, wie er mit seinem Schmerz umging, dem körperlichen, aber gerade auch dem seelischen. Das hatte ich nicht erwartet, als ich ihn um sein Einverständnis bat.
Ich habe einen Menschen kennengelernt, der lange abgewogen hat, ob er sich in seinen letzten Jahren die Zeit nehmen wolle, sich der Geschichte seines Lebens zu stellen. Der genau geprüft hat, ob er vertrauen könnte. Und der, als er seine Entscheidung getroffen hatte, mit schmerzlicher Offenheit über die – Untiefen seines Lebens sprach; nicht rückhaltlos – weshalb hätte er das tun sollen? Aber mit einer Haltung, sich selbst befragen und vor allem anderen, sich selbst Rechenschaft ablegen zu wollen.
Seine Gefühle, auch die dunklen, mit Worten ausdrücken zu können, war für ihn ein Akt der Selbstbehauptung. Er beanspruchte die Autorität über die Erzählung seines Sterbens.
Was für eine Befriedigung zog er daraus, ein letztes Mal die Diagnose seiner Ärzte widerlegt zu haben und sagen zu können: »I am still alive! Das Blut pocht in meiner Hand.«
Auch in diesen letzten Monaten, ja, Wochen vor seinem Tod wollte er an seiner Lebensgeschichte weiterarbeiten. Seine Stimme war brüchig geworden, zeitweise musste er bereits gestützt werden. Gefroren hatte er meistens.
Denken Sie bitte nicht, dass er in diesen Tagen seine Kraft, seine Geisteskraft verloren hätte!
Schimpfen konnte er trotzdem, und wie!
Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union verletzte ihn in seiner Identität als Bürger Europas zutiefst. Sein Heimatland war ihm fremd geworden. Hochsensibel gegenüber dem, was eine demokratische Grundordnung gefährden kann, verfolgte er die internationale Politik wie immer mit hellwachem Geist – ein iPad in der Hand auf dem Sofa liegend.
»Wie schade, dass ich mich nicht mehr so gut bewegen kann! Sonst würde ich ein Maschinengewehr oder einen Revolver nehmen und Trump, Johnson, Orbán und Netanjahu einfach ermorden. Okay, das ist eine kindische Phantasie, aber ich bin so wütend!«
Es war bei weitem nicht die einzige Suada dieser Art, mit der er sich in diesen Wochen über die Politik empörte.
Heute, an dem Tag, da wir ihn zwei Jahre nach seinem Tod, zwei Jahre, in denen wir uns lange mit geschlossenen Theatern und Opernhäusern abzufinden hatten, endlich feiern können, dem Pfingstsonntag!, wollen wir ihn feiern für das, was seine Haltung ausgemacht hat: seine Kunstpolitik, in seinen Worten. Das war der ausdrückliche Wunsch seiner Frau, dem ich gerne nachkomme.
In seinem Nachlass befinden sich mehrere hundert Reden, die er zu den unterschiedlichsten Anlässen gehalten hat. Mehrere Hundert, nur allein aus seiner Münchener Zeit. Diese Reden atmen alle einen Geist: den Geist mit der künstlerischen Arbeit und durch sie das Publikum überzeugen zu wollen. Der Kunst, der Oper, den Künstlerinnen und Künstlern, dieser einzig sinnvollen Handlung hat er seine Lebenszeit gewidmet.
Sir Peter hat jede, wirklich jede Gelegenheit genutzt, um Politikern, Förderern, seinem Publikum, ja, der Welt einzuschärfen: Unsere Gesellschaft kann nicht auf die Oper verzichten. Die Kunst war für ihn »ein Fingerabdruck unserer Zivilisation«. Wie eine Gesellschaft mit ihrer Kunst und ihrer Kultur umgeht, danach werden uns spätere Generationen beurteilen; davon war Sir Peter überzeugt. Für ihn war eine Gesellschaft weniger gesund, wenn sie sich des Künstlerischen nicht bewusst ist. Er sagte einmal:
»Eine Art künstlerisches Leben in einer Nation ist wesentlich für die Gesundheit der Nation. Es ist auch von wesentlicher Bedeutung, wenn es darum geht, den Menschen zu vermitteln, wovor sie Angst haben, was sie lieben oder wogegen sie sich wehren wollen.«
Nun ging es während der Corona-Pandemie, gerade in Sir Peters Todesjahr, nun wirklich um die Gesundheit der Nation. Aber spätestens bei der absurd unterschiedlichen Behandlung von Fußballspielen und Theaterbesuchen wäre er auf die Barrikaden gegangen. Dass die Zugänglichkeit der Oper nicht mehr von ihrer Arbeitsweise, von der Art und Weise, wie sie die Menschen ansprach, abhing, sondern von der Entscheidung der regierenden Politiker, hätte bei ihm sämtliche Reflexe zivilen Ungehorsams in Gang gesetzt.
Es war seine sichere Überzeugung, dass Kunst und Kultur unsere Gesellschaft zusammenhalten können, dass Kunst als »Schlachtfeld der Toleranz« für die Gesellschaft den Boden fruchtbar machen kann.
Die Kunst der Oper, für Sir Peter war sie die »irrationalste Kunstform«, »die komplexeste und alles umfassende Kunstform der Menschheit«:
»In der Oper führt man ein Gespräch mit seiner Seele.« (Ich hoffe, dass) »wir Menschen nie das Bedürfnis verlieren, unsere zartesten, dunkelsten, geheimsten und eigenwilligsten Gefühle in der Kunst auszudrücken«.
Einer der Vergleiche, die Sir Peter am liebsten gebrauchte, war folgender; Sie erinnern sich gewiss:
»Wir Theatermacher sind verpflichtet, mit unserer Arbeit deutlich zu machen, dass Kultur für das Leben genauso wichtig ist wie Ausbildung oder Krankenhausbetten. Und wenn man mir sagt: ›Ein Krankenhausbett ist viel wichtiger als ein Platz im Theater‹, dann antworte ich: ›Das stimmt, jeder könnte ins Krankenhaus kommen, aber nicht jeder ist krank!‹«
Er setzte das einfach. Theater muss sein! Er hat daran wirklich geglaubt und begründete es auch nicht weiter.
Doch: Er begründete es; nur nicht argumentativ, sondern durch die Qualität der Leistungen seines Hauses, der Bayerischen Staatsoper. Mit seiner künstlerischen Arbeit zu überzeugen, machte seine Integrität aus.
Peter Jonas verstand Musiktheater als Dramaturgie der Gesellschaft. Qualität, Zugänglichkeit und das Recht, scheitern zu dürfen: Das war für ihn zentral, um die Gesellschaft im Musiktheater reflektieren zu können.
»I do believe opera is for interpreting – and not representing«. Das war seine Haltung.
Als Intendant begriff er es aber auch als seine ureigene Aufgabe, den Vorurteilen der Linken und der Rechten eben auf politischer Ebene zu begegnen – nicht nur mit Worten, sondern mit seinem gesamten Auftreten, seinem Habitus.
Niemand hat dieses Merkmal seiner Persönlichkeit so präzise erfasst, wie Daniel Barenboim, als er zu Jonas’ Abschied von München schrieb:
»Er will Teil des Establishments sein, um zu bekämpfen, was ihm missfällt. Er schafft den Spagat, zum Establishment zu gehören, ohne sich anzupassen. Dafür wird er von vielen bewundert, damit provoziert er aber auch Feindschaft.«
Solchen Feindschaften trotzte Sir Peter, auch wenn sie ihn manches Mal anfassten.
Niemand, keine Regierung, keine Politiker, kein Intendant dürfe Kultur als Eigentum begreifen. »Dieser Umstand verleiht der Kunst ihre Stärke.«
Aus dieser Haltung zog er eine weitreichende Konsequenz: Derjenige, dem eine solche Institution anvertraut ist, »muß den Vorgaben künstlerischer Wahrheit und Integrität gehorchen«. Er war ein Intendant, der sich als »Gallionsfigur und Verteidiger. Als Ermöglicher« vor sein Haus stellte. Er wollte seinem Publikum dienen. Und er hat seinem Publikum gedient.
Das war sein Maßstab: Oper verpflichtet. Alle.
Sein Vertrauen in künstlerische Institutionen, ihre raison d’être und ihr Vermögen, – war unerschütterlich. Sie kennen diesen immens wichtigen Satz von ihm:
»Künstlerische Institutionen sind unser Leben, unser Erbe. Sie verkörpern das Beste von uns Menschen als Gesellschaft.«
Peter Jonas war ein Mensch, der sich in dem Korsett, dem Regelwerk, das Institutionen nun einmal mit sich bringen, wohl gefühlt hat. Er hat das – erneut ein wenig maliziös – mit seinen Kinder- und Jugendjahren im Drill eines britischen Benediktinerinternats begründet.
»Die Institutionen machen die Künstler, ermöglichen sie, formen ihr Talent und geben ihnen einen freien Raum. Dieser freie Raum ist das, was der Intendant primär schaffen muss.«
Für diesen Freiraum, für diesen geschützten Möglichkeitsraum der Kunst, hat er seine Kraft gegeben. Schon in Chicago, als er gegen die Widrigkeiten seiner Krebserkrankung; dann in London, als er gegen die Sparpolitik der Regierung Thatcher ankämpfte; aber auch hier, in München, mit Zubin Mehta an seiner Seite:
Den Institutionen, denen er vorstand, wollte er die besten Arbeitsbedingungen bieten. Schlussendlich lief immer alles darauf zu: die beste Kunst hervorzubringen, die möglich ist.
Diese Verpflichtung, der er sich mit jeder Faser hingegeben hat, war aber auch der Grund, weshalb er zum Ende seiner Münchener Intendanz, verkündete: »Ich will mein Leben zurück.«
Das ist ihm – zum Glück! – gelungen.
Bei einer meiner letzten Begegnungen mit Peter Jonas lag er auf dem Sofa, Decken sollten ihn wärmen, er fror trotzdem. Was Monate zuvor eine geschwächte, kratzige Stimme gewesen war, war jetzt nur mehr ein kaum hörbares Hauchen. Ich konnte ihn nur verstehen, wenn ich neben dem Sofa auf dem Boden saß. Zu sprechen kostete ihn große Anstrengung. »I have a lot to say, much of it is locked away.« Er musste oft röcheln und konnte nicht weitersprechen. Das Sauerstoffgerät stand bereit.
In diesen Momenten kurz vor seinem Tod wollte Peter Jonas klarstellen, worauf es ihm in der Oper wirklich ankam. Alle Geisteskraft konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihm in seinem Schachspiel mit dem Tod nur mehr einzelne Züge blieben. In diesen Wochen durchstand er düstere Momente. Er zweifelte an seinem Lebenswerk. Mir schien es, als nutze er diese Gespräche für ein letztes Bekenntnis. Ich hörte ihm bei seiner letzten Rede zu.
»Theatre is just a moment«. Es geht nicht um Leben und Tod. Man sollte es nicht zu ernst nehmen, sagte er, um dann aus dem Sommernachtstraum, dem geliebten Drama, mit dem er einen wundervollen Moment seines Lebens verband, aus Pucks Schlussmonolog zu zitieren.
Ihr alle schier
habet nur geschlummert hier
und geschaut in Nachtgesichten
eures eignes Hirnes Dichten.
Wieder schwieg er, schöpfte Kraft.
»Der Grund ist immer ein musikalischer. That’s what I really wanted to say.«
Die Musik kommt immer zuerst, ebenso wie der Dienst an den Künstlerinnen und Künstlern.
»Ich bleibe dabei: Wenn ich Daniel Barenboim eine Klaviersonate von Beethoven spielen höre, das ist der Ursprung des Dramas in der Musik! Ich entschuldige mich nicht bei meinen ur-dramaturgischen Freunden, David Alden und den anderen Kompatrioten. Das Drama und das, was der Regisseur daraus macht, stammt ursprünglich aus der Partitur, aus dem, was Monteverdi oder wer auch immer geschrieben hat. Die Ur-Energie dieser Werke kommt immer aus einem musikalischen Gedanken.«
»(F)ür die Neuinterpretation von älteren Werken (müssen wir uns) der Geschichte bewusst … sein. Nicht einfach frisch an sie herangehen, sondern durch ein Verständnis der Geschichte. Eine strenge innere Dramaturgie.«
Jonas verstummte erneut für eine ganze Weile, bevor er von seinem Geschenk für Ivor Bolton erzählte. In einem Antiquariat hatte Jonas vor einigen Jahren eine Partitur von Michael Tippetts Midsummer Marriage entdeckt und sie Ivor Bolton verbunden mit dem Wunsch geschenkt, sie unter seinem Dirigat zu hören. »Ich bin traurig, dass ich diese Oper vor meinem Tod nicht mehr erleben werde.« »Ich habe meine Stimme in dem Moment verloren, da ich zum ersten Mal spüre und verstehe, wie diese Opern inszeniert werden sollten. Jetzt erst beginne ich zu verstehen… Ich sage nicht, dass ich die Antworten habe, aber ich verstehe die Fragen…the courtesy of a question, that is what interpretation means.«
In seinen letzten Wochen durfte sich Peter Jonas von Daniel Barenboim, einem seiner ältesten Freunde seit Chicagoer Zeiten, jeden Tag ein neues Klavierstück wünschen, das ihm Barenboim am Abend vorspielte. Jonas beglückten diese letzten Konzerte seines Lebens tief.
Klavier solo, das war das Repertoire, das er durch seine geliebte Schwester kennengelernt hatte. Es war die Musik, mit der sie ihn in seiner Kindheit geweckt hatte. Erneut nährte ihn die Musik, spendete ihm Trost. Mit seinen letzten Konzerten für seinen Freund begleitete Daniel Barenboim ihn auf dem Weg zurück zu seiner Schwester.
»Im Theater und in der Oper geht es um das Jetzt, nicht um die Vergangenheit.
Ein früherer Intendant sollte abgesehen von den Jahren seiner Intendanz keine weitere Bedeutung haben. Wenn diese Jahre vorbei sind, sind sie genauso vorbei wie eine Aufführung. Sie lebt nur noch in der Erinnerung. Du hast dein Bestes getan, ob es funktioniert hat oder nicht. Du hast die Fantasie der Menschen angeregt und sie verführt – oder eben nicht. Du hast die Menschen unterhalten – oder nicht. Und dann ist es zu Ende.«
Julia Glesner, 5. Juni 2022, »Celebrating Sir Peter«
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