Francis Poulenc
Francis Poulenc wurde am 7. Januar 1899 als Sohn eines wohlhabenden Industriellen und tief gläubigen Katholiken in Paris geboren. Von seiner Mutter - sie war Freidenkerin, eine künstlerisch vielseitig interessierte Pariserin und begabte Pianistin - erbte Francis das musikalische Talent.
Sie war es auch, die ihrem Sohn erste Klavierstunden erteilte. Im Alter von 15 Jahren begann er bei Ricardo Viñes (Freund und Interpret von Debussy und Ravel) für drei Jahre Unterricht zu nehmen. Er wurde ein ausgezeichneter, in späteren Kritiken fast schwärmerisch beurteilter Pianist und Liedbegleiter. Seine ersten Kompositionen galten dem Klavier; Francis war 19 Jahre alt, als Viñes seine Trois Mouvements perpétuels uraufführte. Sie wurden interessiert aufgenommen und Erik Satie wurde auf Poulenc aufmerksam. Poulenc bevorzugte vielfach kleine Formen, wenn er etwa für Klarinette oder Holzbläser schrieb, komponierte aber auch Ballette und Opern: Les Mamelles de Tirésias, 1947, Les Dialogues des Carmélites, 1957.
Seine autodidaktisch erworbenen musiktheoretischen Kenntnisse vertiefte er zunächst bei Paul Vidal und Maurice Ravel. Eine Aufnahmeprüfung am Pariser Konservatorium bestand er nicht. Das mag ein Grund gewesen sein, dass ihm erst einmal der Ruf anhing, ein Amateur zu sein, den man nicht ernst nehmen musste, zumal er sich in jungen Jahren einer "einfachen", leichten und koketten musikalischen Sprache bediente. Doch diese Formgebung war Programm. Seit 1920 gehörte er zur Groupe des Six der, unter der Mentorenschaft von Erik Satie, auch die Komponisten Georges Auric, Louis Durey, Arthur Honegger, Darius Milhaud, Germaine Tailleferre angehörten und in der Jean Cocteau als intellektueller Kopf aktiv wurde. Ihr Programm in den Worten Cocteaus: "Schluss mit den Wolken, Wogen, Aquarien, den Undinen und nächtlichen Düften – was wir brauchen ist Musik, die auf der Erde zu Hause ist, eine Musik für alle Tage ... vollendet, rein, ohne überflüssiges Ornament ...". Die Groupe des Six traf sich regelmäßig, richtete gemeinsam Veranstaltungen aus, doch musikalisch ging jedes Mitglied einen eigenen Weg. Dabei verwirklichte Poulenc wohl mit der größten Konsequenz Cocteaus Idee von einer unterhaltsamen Musik. Clarté und Elégance, spielerischer geistreicher Umgang mit musikalischen Vorbildern aus Jazz, Varieté und Zirkus, vor allem aber der "ernsten" Musikliteratur zeichnen viele seine Werke aus. Dies hat ihm den Ruf eingetragen „ein musikalischer Clown erster Güte, ein brillanter musikalischer Nachahmer" zu sein - nicht ohne das Zugeständnis, er sei „ein geschickter Handwerker, der eine extrem heterogene Sammlung musikalischer Stile zusammenfügt zu einem unverkennbar eigenen persönlichen Stil." Tatsächlich waren Cocteau, aber auch Apollinaire und andere surrealistische Dichter wie sein Freund Paul Eluard für Poulenc ästhetische Orientierungs-Instanzen, deren Gedichte er mit Vorliebe vertonte. Zum Durchbruch verhalf Poulenc die Ballettmusik Les Biches, (1923). Das Werk öffnete ihm endgültig alle Türen in die Künstler- und Mäzenatenkreise der Pariser Gesellschaft. Man hat Les Biches mit Strawinskys Pulcinella verglichen: Wie dort griff Poulenc Formen und Ausdruck der Musik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts auf, aber er parodierte und kontrastierte sie zugleich, indem er ihnen in raschem Wechsel kleine musikalische Ereignisse mit eigenen Einfällen, einer Mischung von Stilen, Einsprengseln von Jazz folgen ließ, um erneut auf traditionelle Elemente anzuspielen. Das Ballett und seine Wirkung auf das Publikum ist mit dem sprachlichen und bildnerischen Surrealismus verglichen worden, der Hör- und Sehgewohnheiten gehörig irritierte.
Poulenc hatte das Komponieren nie von Grund auf gelernt, doch wagte er sich im Laufe seines Lebens an fast jedes Genre (er schrieb Kammermusik, Opern, Bühnenmusiken, Ballette, Lieder und sakrale Musik). Er arbeite, sagte er, instinktiv und nicht nach Regeln, und er sei stolz darauf, kein festes System zu besitzen. Zur geistlichen Chormusik fand Poulenc allerdings relativ spät; nachdem er zunächst gar kein Interesse für Kirchenmusik gezeigt hatte, wurden die Weichen für sein Schaffen 1936 durch den tragischen tödlichen Unfall seines engen Freundes Pierre-Octave Ferroud neu gestellt. Die Nachricht vom Tod seines Freundes erreichte Poulenc während eines Urlaubs in Frankreich; sie erschütterte ihn so sehr, dass er sich zu einer Wallfahrt nach dem nahe gelegenen Rocamadour zur berühmten Statue der Schwarzen Madonna, der Vierge Noire, entschloss. Die Erfahrungen dort berührten ihn so tief, dass sie eine neue Annäherung an den katholischen Glauben einleiteten (nach dem Tod seines Vaters 1917 hatte Francis Poulenc sich ernsthaft von der Kirche distanziert) und den Grundstein für eine nachhaltige und fruchtbare Auseinandersetzung mit sakraler Chormusik legten. Bereits ein Woche nach seiner Rückkehr aus Rocamadour schrieb er seine Litanies à la Vierge Noire. 1936 entstand noch eine Messe, die er seinem Vater widmete. 1950 schuf er Stabat Mater, 1959 komponierte er Gloria und 1961 schloss er die Sept Répons des ténèbres ab. Über den Stellenwert, den diese Chormusik in seinem Gesamtwerk einnimmt, hat Poulenc sich einmal selbst, kurz vor seinem Tod im Jahre 1963, geäußert: „Ich glaube, ich habe den besten und glaubwürdigsten Aspekt meiner selbst in meine Chormusik eingebracht. Nehmen Sie mir meine Unbescheidenheit nicht übel, aber ich habe das Gefühl, auf diesem Gebiet wahrhaftig etwas Neues beigetragen zu haben, und ich möchte fast annehmen, dass man sich in fünfzig Jahren, wenn dann überhaupt noch jemandem an meiner Musik gelegen ist, eher für das Stabat Mater als für die Mouvements perpétuels interessieren wird."
Was das Ballett betrifft, so hat Poulenc auch nach Les Biches auf Choreographen eine faszinierende Wirkung ausgeübt. Glen Tetley choreographierte 1973 Voluntaries auf sein Orgelkonzert, Kenneth MacMillan 1980 Gloria auf Poulencs gleichnamige Komposition.