W.G. Sebald

Im allgäuischen Wertach wurde Sebald 1944 geboren. Nach dem Studium war er Lehrer in St. Gallen, danach Lektor in Manchester. Nach Promotion (an der East Anglia-Universität in Norwich) und Habilitation (in Hamburg) begann er, wiederum in Norwich, seine Tätigkeit als Hochschullehrer. Der Schriftsteller Sebald - halb Wissenschaftler, halb Essayist - trat erstmals 1985 hervor. Nach dem folgenden gewaltigen "Elementargedicht" Nach der Natur meldete er sich 1990 mit dem Prosaband Schwindel. Gefühle. In ihm fixierte er seine Position als dichtender Berichterstatter; seine persönliche Stillage; seinen insgesamt so raffinierten wie verfeinerten Plan, über die Beschreibung von Zuständen und zeitlich eingegrenzten Begebenheiten in der für ihn typischen Vermengung von Realität und Phantastik sowie über banale wie tragische Lebensläufe zur Bildprägung unserer Zeit zu gelangen.

Mit seiner jüngsten, erst in diesem Frühjahr erschienenen Prosaarbeit Austerlitz, die ausdrücklich nicht Roman genannt wird, hat Sebald seinen bisherigen Anthologien, in denen sich Einzelgeschichten zur sinntragenden Einheit banden, eine Art Heldenepos folgen lassen über die Irrfahrten eines an die Welt ausgelieferten Juden auf der Suche nach seiner ihm verlorengegangenen Vergangenheit.
Sebalds Prosa geht jeder planen Faktenanhäufung, obwohl er dem strikten Duktus biographischer Befragungen folgt, geradezu vorsätzlich aus dem Weg. Er führt seinen Leser über und durch den Kosmos des Alltäglichen, das durch eine Fülle phantomgesättigter Träumereien, die wirklicher sind als gedacht, angereichert, ja gesteuert wird. Auf die Weise mutiert, was man jetzt erfährt über in unvordenklicher Zeit Gewesenes und Geschehenes, zum bedrängend Gegenwärtigen, zum in altväterlich-altväterischer Weise formulierten Irreal-Mythischen.
Es sei ein Siegel der Vollkommenheit, hat Sebald in seinem Kalenderbeitrag zu Ehren Johann Peter Hebels über dessen Geschichten aus dem Schatzkästlein des rheinischen Hausfreunds Walter Benjamin zitiert, daß man diese Geschichten so leicht vergesse. Sebalds eigene Prosa ist nahezu wuchernd bevölkert von Miszellen, die den Weg zur Hauptbegebenheit säumen. Es sind ihrer so viele, daß die Gefahr bestehen könnte, sie ebenso zu vergessen wie Hebels Geschichten. Aber sie haben sich tief eingraviert ins Bewußtsein. So bleiben sie bei einem, man wird sie nie verlieren. Das bezeichnet die Qualität Sebaldscher Geschichten und die Art, wie sie aufgeschrieben sind.