L'INFEDELTÀ DELUSA.Files

Ein Film-Tagebuch führt uns zurück ins Jahr 1955, an einen heißen Sommertag.

„Wir waren zwischen 16 und 21 Jahre alt.
'Euch Mädchen steht eine mustergültige Zukunft bevor. Ihr werdet Vorzeigegattinnen sein, würdige, geschätzte Hausfrauen und Mütter', wurde uns gesagt.
Das war unser Abschied von der Mustergültigkeit und einer der lustigsten Tage unseres Lebens. Wir hatten nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen.“

Regisseurin Marie-Eve Signeyrole spürt in Haydns heiterer Oper L´Infedeltà delusa den ernsten Kern auf, der jeder guten Komödie zugrunde liegt. Der Widerstand gegen eine hierarchische, von Männern diktierte Ordnung ist nicht mehr nur Anlass für Verkleidungsszenen und dem Vorspielen falscher Tatsachen, sondern wird zum Kampf der Mädchen auf das Recht, zu lieben wen man will, das Recht, seine Zukunft selbst gestalten zu können und das Recht, als Frau akzeptiert zu werden. Die emotionale Temperatur kocht hoch und am Ende ist nichts mehr wie es war…

Sandrina liebt Nanni. Nencio liebt Vespina. Doch Nencio möchte es mit Sandrina versuchen, und ihr Vater Felippo unterstützt ihn dabei – Väter wissen schließlich, was das Beste für ihre Töchter ist. Doch Nanni und Sandrina wollen selbst darüber entscheiden, wen sie lieben. Der Vater-Tochter-Konflikt ist bei Haydn auch ein gesellschaftlicher, der die sozialen Rollenbilder von Männern und Frauen auf komische Weise thematisiert. Die französische Regisseurin Marie-Eve Signeyrole macht daraus ein ernsthaftes Spiel um die Sehnsüchte junger Liebender – und um die Gleichberechtigung von jungen Frauen in einem von Männern dominierten gesellschaftlichen Umfeld.

Joseph Haydn schrieb seine Opera buffa 1773 für das ländlich Idyll seines Mäzenen Fürst Esterházy. Situationskomik und musikalische Charakterisierungskunst zeichnen Haydns musiktheatrale Sprache aus. Obwohl er als Komponist von Sinfonien und Kammermusik der Klassik Berühmtheit erlangte, gelang ihm mit dieser Oper eine feinsinnige Kammeroper über die Tiefen und Untiefen menschlichen Liebens.

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HOW TO OPER

Marie-Eve Signeyrole über die Oper

KUNST ERFAHREN, FÜHLEN, WERDEN

Selbstständiges Denken und Individualität: Darauf setzt das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper beim Nachwuchs. Die Talente dürfen in einer Neuproduktion der Oper L’infedeltà delusa um die Wette funkeln.

Die Tage sind durchgetaktet. Opernvorstellungen, Liederabende, Sponsorenveranstaltungen, Meisterklassen – das alles neben dem regulären Unterricht, Gesangsklassen, Atemtechnik, Schauspielstunden, Rollenstudium, Sprachunterricht. Um 15 Uhr kommt der Plan für den nächsten Tag, 10 Uhr antreten, vorsingen, proben bis in den Abend. – So viel zum militärischen Teil. Alles weitere erledigt die Karriereturbomaschine wie von selbst: oben Gesangstudierende rein, unten heraus kommen die Opernstars von morgen. Zack, fertig? Mit viel Wille zur Dystopie könnte man sich das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper ungefähr so vorstellen. Die Staatsoper ist ein hochgeschätztes Haus, an das sich enorme Erwartungen richten. Seite an Seite singen hier die ganz Großen mit den Großen von morgen. Wieviel Freiheit, wieviel Raum für individuelle Unterstützung für junge Sänger:innen kann es in einem solchen Betrieb geben? Aus acht- bis neunhundert Bewerbungen bekommen jedes Jahr vier bis sechs Sänger:innen einen Platz im Opernstudio. Oft sind sie Mitte zwanzig und haben gerade einen Abschluss gemacht. Zwei von ihnen sind in dieser Spielzeit die Sopranistin Jasmin Delfs und der Tenor Granit Musliu. „Es ist ein großer Traum, der in Erfüllung geht“, sagt Jasmin. Sie hat im Sommer ihren Bachelor bei Manuela Uhl an der Musikhochschule Lübeck abgeschlossen. Granit hat in Prishtina und Hamburg studiert. Er ist überwältigt, die nächsten zwei Jahre in München verbringen zu dürfen. „Was wir denken und fühlen in Bewegung, Schauspiel und Gesang umzusetzen, die Menschen zu berühren mit dem, was wir tun – das ist die Kunst und alles, was mich an Oper begeistert. Das Opernstudio in München ist bekannt als eines der besten weltweit. Dass ich angenommen wurde, ist das Tollste, das mir je passiert ist!“ Eine der ersten Produktionen, die Granit auf der Nationaltheaterbühne singt, ist Schostakowitschs Die Nase, Jasmin ist für die Papagena in Mozarts Die Zauberflöte besetzt. „Ich mache mir im Voraus natürlich Gedanken über die Stoffe und Charaktere. Ich versuche aber, ganz offen nach München zu gehen und viel mitzunehmen von den hochkarätigen Künstler:innen, die uns unterrichten und mit denen wir auf der Bühne stehen“, erzählt sie.

Das Opernstudio ist ein zweijähriges Programm, das die Stipendiat:innen auf den Berufsalltag vorbereiten soll. Es geht darum, Praxiserfahrung zu sammeln, um den künstlerischen Feinschliff , die Sicherheit im Auftreten, und auch um das Vernetzen mit Kolleg:innen, Agenturen und Veranstalter:innen. „Die künstlerische Persönlichkeit ausbilden, das ist für uns das Wichtigste“, sagt Tobias Truniger. Er leitet das Opernstudio seit 2009 musikalisch, 2017 hat er die künstlerische Gesamtleitung übernommen. Die Sänger:innen sollen lernen, ihre Stärken und Schwächen einzuschätzen, und sich darüber bewusst zu sein, was sie vermitteln möchten. Denkende Künstler:innen sein – keine gehorsamen Knetsoldaten. „Wer beschließt, was ein schöner Ton ist? Ich finde man fühlt, welcher Ton einem etwas vermittelt. Es gibt viele Beispiele in der Sängergeschichte, wo Leute mit weniger wohltemperiertem Stimmklang eine irrsinnige Karriere gemacht haben. Maria Callas ist ein ganz großes Beispiel. Im Endeffekt betritt eine Künstlerpersönlichkeit die Bühne. Es ist wirklich so: Einzig und allein zählt, ob man mit dem fesseln kann, was man zu sagen hat.“ Die Förderung junger Sänger:innen geht an der Bayerischen Staatsoper auf die 1960er Jahre zurück. Ehemalige Stipendiat:innen sind mittlerweile feste Größen bei der Ausbildung der Sänger:innen im Opernstudio: Etwa die Sopranistin Golda Schultz, die aktuell in Webers Der Freischütz die Agathe singt. Die Offenheit und Hilfsbereitschaft gegenüber den jungen Sänger:innen sei unglaublich groß, sagt Tobias Truniger. „Ich fühle mich bereit, zu mir zu stehen, an meine Perspektiven und Ideen zu glauben. Ich bin selbstbewusster geworden – auch stimmlich und künstlerisch.“ Eliza Boom ist seit einem Jahr Mitglied im Münchner Opernstudio. Sie ist lyrische Sopranistin und kommt aus Neuseeland, zuletzt hat sie einen Master in Manchester abgeschlossen. „Ein Höhepunkt für mich war Der Rosenkavalier in der Regie von Barrie Kosky und unter der Leitung von Vladimir Jurowski. Ich habe nur eine winzige Rolle gesungen – aber zu sehen, wie diese Musiker arbeiten, zu verfolgen, wie Marlis Petersen die Rolle der Marschallin entwickelt, das war unglaublich inspirierend.“ Auch Bariton Andrew Hamilton ist Stipendiat im zweiten Jahr. „Neben den großartigen Mentor:innen wählt Tobias auch großartige Menschen für das Opernstudio aus. Wir unterstützen und stärken uns alle so sehr in dem, was wir tun. Ich habe das Gefühl, dass ich auf mich selbst vertrauen kann. Und so viel Freude wie noch nie.“ Ein überwiegender Teil der Stipendiat:innen kommt aus dem Ausland nach München. „Viel Papierkram“, scherzt Pina­Teresa Mittelhammer, die organisatorische Leiterin des Opernstudios. „Wir versuchen ihnen so viel wie möglich abzunehmen.“ Dank großzügiger Sponsorengelder gibt es sogar ein Haus, in der bis zu sechs Stipendiat:innen günstig wohnen können. „Das ist eine große Erleichterung. Wir fordern viel von den Sänger:innen – trotzdem soll das Opernstudio ein geschützter Raum sein. Sie sollen sich auf ihre Arbeit konzentrieren können, und nicht zusätzlich vor die Mammutaufgabe gestellt sein, in München eine bezahlbare Wohnung finden zu müssen.“ Andrew Hamilton freut sich, bald auf der Bühne des Nationaltheaters zu stehen. „Und immer, wenn wir an den Künstlerzimmern vorbeigehen und in den großen Saal des Nationaltheaters blicken können – noch immer sagt einer von uns: Es ist so unglaublich, dass wir hier arbeiten dürfen. An diesem wundervollen, ehrwürdigen Ort.“

Ida Hermes

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