Zum Tod von Norbert Orth
Zwei volle Jahrzehnte war Norbert Orth fast omnipräsent im Nationaltheater München. Seine erste Vorstellung sang der am 18. August 1939 in Dortmund geborene Tenor hier am 20. September 1976 als Spoletta in Tosca.
Zwei Tage später stand das frischgebackene Ensemblemitglied schon als Steuermann in Der fliegende Holländer auf der Bühne, noch im selben Monat gab Norbert Orth seine Debüts als Pedrillo (Die Entführung aus dem Serail) und als Stimme eines Jünglings (Die Frau ohne Schatten). Der Oktober brachte zusätzlich Aufführungen als Wenzel (Die verkaufte Braut) und Borsa (Rigoletto). Und gerade so ging es weiter, dieses ganz normale außerordentliche Pensum: Am Ende standen 469 Auftritte von Norbert Orth allein in den Vorstellungsbüchern der Bayerischen Staatsoper. Sein letzter Abend am Nationaltheater war richtiggehend eine Tat: In der Partie des Walther von Stolzing rettete er am 26. Mai 1996 in letzter Minute als Einspringer eine Aufführung der Meistersinger von Nürnberg. Drei Vorstellungen als Bacchus in Ariadne auf Naxos waren für 1997 noch geplant, doch die musste der Sänger wegen des plötzlichen Tods seiner Frau absagen. Es hätte noch ein Höhenflug werden können.
Schließlich stand Norbert Orths Karriere abseits seines Stammhauses noch in voller Blüte. Während er an der Bayerischen Staatsoper vor allem das Fach des Buffo- und Spieltenors in kleinen, aber auch in tragenden mittleren Partien abdeckte (außer den genannten beispielsweise mit Jaquino in Fidelio, mit dem Wirt im Rosenkavalier – 21 Mal, sämtlich mit Carlos Kleiber am Pult – oder mit Monostatos in der Zauberflöte, den er hier sage und schreibe 46 Mal sang), war er in der weiten Welt darüber hinaus im heldischen Fach gefragt, gastierte an der Berliner Staatsoper als Max (Der Freischütz), Erik (Der fliegende Holländer) und Bacchus. Die Bayreuther Festspiele holten ihn als Augustin Moser in den Meistersingern und als Loge im Rheingold. Die großen Wagner-Partien gestaltete er ebenfalls, Tannhäuser und Tristan in Kassel, Lohengrin in Hannover, Wiesbaden, Gent und Antwerpen, Walther von Stolzing in Paris am Théâtre du Châtelet und in Essen zur Eröffnung des Aalto-Theaters und Parsifal beim RAI Turin. Der Pedrillo führte ihn an die Grand Opéra in Paris, an die Mailänder Scala, nach Buenos Aires, zu den Salzburger Festspielen und bis an die Metropolitan Opera in New York. Ursprünglich zum Industriekaufmann ausgebildet, dann am Konservatorium seiner Heimatstadt zum Sänger geformt (u. a. mit Hans Sotin als Mitschüler), begann Norbert Orth seine Gesangskarriere mit einem Engagement in Kiel. Es folgten Gesellenjahre in Düsseldorf und Nürnberg, bevor die Bayerische Staatsoper ihm zur künstlerischen Heimat wurde. In späteren Jahren hat er als Dozent am Richard-Strauss-Konservatorium in München junge Talente auf ihrem Weg begleitet. Eine besondere Leidenschaft blieb für ihn auch die Operette.
Nun ist Norbert Orth kurz nach Vollendung seines 84. Lebensjahres am 27. August 2023 gestorben.
Die Bayerische Staatsoper wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Malte Krasting