Zum Tod von Pierre Audi

Der französisch-libanesische Theaterintendant und Regisseur Pierre Audi ist in der Nacht zum 3. Mai überraschend im Alter von nur 67 Jahren in Peking verstorben. Die internationale Opernwelt trauert um einen weltweit anerkannten und gefragten Theatermacher, einen höchst phantasievollen Regisseur und einen der wirklich großen Ermöglicher künstlerischer Partnerschaften.

Pierre Audi wurde 1957 in Beirut als Sohn eines Bankiers geboren. Später siedelte die Familie nach Paris über. Schon während seines Geschichtsstudium in Oxford begann Audi zu inszenieren. 1979 gründete er das heute legendäre Almeida Theatre, das als Ur- und Erstaufführungsbühne im Rahmen von Audis International Festival of Contemporary Music and Performance fungierte. 1988 führte Audis Weg nach Amsterdam, wo er Intendant der Dutch National Opera (De Nationale Opera) wurde. Das Wagnis, den weitgehend unbekannten, noch sehr jungen Regisseur zu berufen, zahlte sich vollkommen aus: Dank Audi wurde die Dutch National Opera zu einem der wichtigsten Player der globalen Opernszene. Volle dreißig Jahre lang prägte Audi das Haus und hinterließ auch als Regisseur eines Monteverdi-, eines Mozart- und eines Ring-Zyklus bleibende Spuren.

Pierre Audi inszenierte weltweit an so bedeutenden Häusern wie der Metropolitan Opera, der Wiener Staatsoper oder der Mailänder Scala, zudem bei den Salzburger Festspielen und bei der Ruhrtriennale. Von 2005 bis 2014 war Audi Künstlerischer Leiter des Holland Festivals. 2018 übernahm er die Intendanz der Festspiele in Aix-en-Provence und hauchte dem wichtigsten französischen Festival neues künstlerisches Leben ein. Überdies war er künstlerischer Leiter der Park Avenue Armory in New York – das ehemalige Waffenarsenal mutierte dank Pierre Audi zu einem Treffpunkt der bedeutendsten bildenden und darstellenden Künstler:innen der Welt.

An der Bayerischen Staatsoper hat Audi dreimal inszeniert, und die drei Werke umreißen die ganze Spannbreite des Regisseurs. 1997 inszenierte er eine Uraufführung, Hans Werner Henzes Venus und Adonis auf ein Libretto des vom Komponisten hochgeschätzten Hans-Ulrich Treichel. 2008 folgte eine Barockoper: In Georg Friedrich Händels Tamerlano stand die Reduktion und die damit einhergehende psychologische Tiefenschärfung der Figuren im Vordergrund. Seine Inszenierung von Richard Wagners Parsifal ist noch immer im Repertoire der Bayerischen Staatsoper und steht gewissermaßen symptomatisch für die dritte Komponente im Wirken Audis: die Zusammenarbeit mit bildenden Künstler:innen. Für den Parsifal am Nationaltheater von 2018 steuerte der Maler, Grafiker und Bildhauer Georg Baselitz das Bühnenbild zu Pierre Audis klug-zurückhaltender Regie bei. Im Verbund entstand die eindringliche Darstellung einer beklemmenden Dystopie.

Dogmatismus war Pierre Audi, diesem stets wachen und überaus klugen, unruhigen Geist, völlig fremd. Bis zuletzt blieb er neugierig, zeigte sich allen künstlerischen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen und überführte so manchen Regietrend zu tieferer, überzeitlicher Wahrheit. Große Regiepersönlichkeiten wie Romeo Castellucci oder Peter Greenaway fanden durch ihn den Weg zur Oper. Immer wieder setzte er sich für neue Opernwerke ein und inszenierte sie häufig auch selbst; es finden sich so prominente Namen wie Tan Dun, Kaija Saariaho, Pascal Dusapin, Louis Andriessen, György Kurtág und Alfred Schnittke darunter.

Pierre Audi hielt sich zuletzt in Peking auf, wo er eine Übernahme einer seiner Inszenierungen vorbereitete. Dieser nimmermüde Opernmentor und -kreator, der in einem Atemzug mit Größen wie Rolf Liebermann oder Gerard Mortier zu nennen ist, hat nun für immer die Augen geschlossen. Dennoch lebt sein Wirken weiter, und wir werden feststellen, dass seine Spuren noch lange sichtbar bleiben: in den Inszenierungen, die auf dem gesamten Globus zu sehen sind, in den Werken, die er initiiert hat, in den künstlerischen Partnerschaften, die er in die Wege geleitet hat. Dafür wollen wir Pierre Audi aus tiefstem Herzen dankbar sein.

Serge Dorny verband eine enge Freundschaft mit Pierre Audi. „Er war einer meiner besten Freunde“, so der Staatsintendant, „und sein Tod ist ein großer Verlust für die Welt der Oper. Er war ein wahrer Aristokrat des Geistes und ein kultureller Feinschmecker, der sich mit großer Leidenschaft für zeitgenössische Musik und die Künste einsetzte. Von seiner Pionierarbeit beim Almeida Festival bis hin zu seiner visionären Führung der Nederlandse Opera und des Holland Festival war sein Engagement für Innovation und Exzellenz unerschütterlich. Pierre war ein Baumeister und ein Suchender. In unserem Beruf – dessen Entwicklung er kritisch sah – nahm er eine Sonderstellung ein: ein einsamer Utopist mit einer seltenen, kompromisslosen künstlerischen Integrität.“