Was ist Liebe?
Das Symbol der Liebe ist das Herz. Der Ort des Gefühls ist der Bauch. Neurowissenschaftler Andreas Bartels sagt: Liebe ist eine Sache des Hirns. Er muss es wissen, denn er war einer der ersten, der mit seiner Forschung die Liebesareale im Hirn sichtbar gemacht hat.
VON ANDREAS BARTELS
Liebe bedeutet für mich grenzenloses Wohlwollen, Vertrauen, Wertschätzung, Gefühle der Bewunderung, Fürsorge, Schutz – auf eine bestimmte Person bezogen. Der Drang, ihr Gutes zu tun, Zeit mit ihr zu verbringen und Nähe, Gemeinsames mit ihr zu erfahren, ihre Schwächen ebenso wie ihre Stärken zu mögen, sich mit ihr zu freuen und mit ihr zu fühlen. Wichtig für mich ist Gegenseitigkeit, das Wissen, auch zurück geliebt zu werden. Ob nun eigenes Kind oder Partner:in – für beide gilt dasselbe. Meine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema hat, wenn überhaupt, meine Sinne für Teilaspekte der Liebe verstärkt.
Aus der Perspektive der Hirnforschung ist Liebe (oder wissenschaftlich gesagt: Bindung) ein biologischer Mechanismus im Hirn, der eine sehr einfache Funktion hat: Individuen aneinander zu binden. Die Evolution hat diesen Mechanismus hervorgebracht, weil das Überleben unserer Babys völlig von elterlicher Fürsorge abhängt. Liebe ermöglicht erst elterliche Fürsorge, und das hierzu oft ebenso hilfreiche Beisammenbleiben der Eltern.
Liebe ist daher Schlüssel zur Existenz von Säugetieren wie dem Menschen
– generell von Arten, die elternabhängigen Nachwuchs zur Welt zu bringen und so über Generationen hinweg Wissen vermitteln. Die Hirnmechanismen der Bindung sind deshalb mächtig, erstaunlich einfach, und stehen unter genetischer Kontrolle:
Neurobiologisch betrachtet ist Bindung ein Lernmechanismus, der Belohnung (oder das Empfinden positiver Gefühle) mit der Gegenwart eines bestimmten Individuums verknüpft. Diese Verknüpfung lässt das Verlangen entstehen, Zeit mit dem anderen Individuum zu verbringen. Und wie funktioniert das genau? Die gleichzeitige Ausschüttung der Neurohormone Oxytocin (OT) und Vasopressin (AVP) (auch bekannt als „Kuschelhormone“), zusammen mit Dopamin (umgangssprachlich auch als „Glückshormon“ bekannt), leiten im Kern des Belohnungssystems des Gehirns diesen Lernprozess ein. Dieser einfache Mechanismus ist ausreichend und notwendig, um eine lebenslange Bindung zwischen Individuen herbeizuführen. Im Grunde wird eine nachhaltige Assoziation zwischen der Anwesenheit eines bestimmten Individuums und höchsten Glücksgefühlen gebildet.
Liebe ist daher die Konsequenz eines besonderen Lernmechanismus des Gehirns.
Die Hirnregionen und Hormone sind hierbei universell – es sind dieselben bei Eltern-Kind Bindung, Paarbindung, gleich- oder gegen-geschlechtlicher Liebe, und sie sind über Arten hinweg konserviert. Wichtig ist dabei, dass dieser Lernmechanismus spezifisch auf soziale Reize ist: Glücklichsein funktioniert hiermit nur mit anderen Individuen, nicht mit Objekten.
Sucht missbraucht die Mechanismen der Liebe.
Die Liebesforschung hat auch eine Überraschung preisgegeben: nämlich, dass Sucht die Mechanismen der Liebe missbraucht – nur dass eine Substanz dann die oder den Geliebten ersetzt. Bei Suchtentwicklung findet auf molekularer Ebene derselbe Umbau unserer Belohnungszentren statt wie beim Entstehen einer Bindung. Auch der Entzug ist ähnlich, und bei Liebeskummer müssen wir wohl kläglich darauf warten, bis unser Hirn sich endlich entwöhnt hat. Suchtentzugsbehandlungen durch die Liebeshormone OT und AVP werden derzeit geprüft. Es gibt sogar schon Studien, die zeigen, dass die Gabe bestimmter Substanzen, zum Beispiel von Vasopressin, Liebeskummersymptome zumindest im Tiermodell aufheben kann. Vielleicht auch ein Lichtblick für unglücklich verliebte. Allerdings müssen die Substanzen derzeit noch direkt ins Gehirn gespritzt werden.
Drei bis fünf Prozent der Wirbeltierarten können Paarbindungen eingehen.
Die genetische Kontrolle über die Mechanismen der Bindung ist so einfach wie faszinierend. Sie erklärt warum manche Arten Bindung kennen, andere nicht, und warum manche Individuen bindungsfähiger sind als andere. Ein einziges Gen kann den Unterschied zwischen Arten machen, die befähigt sind, Paarbindungen einzugehen (drei bis fünf -Prozent der Wirbeltierarten), und solchen die es nicht sind. Die künstliche Übertragung dieses Gens von einer Art zu einer anderen kann einsame Wölfe in knuddlige Romantiker:innen verwandeln.
In Tieren kann eine einzige Dosis der Liebeshormone eine lebenslange Paarbindung herbeiführen oder in einem jungfräulichen Weibchen eine starke mütterliche Bindung an ein fremdes Baby erwirken. Umgekehrt kann ein Liebeshormonblocker im Hirn Paar- und Mutterliebe verhindern, sodass Babys rücksichtslos verlassen und Tiere einsam werden. Zum Glück sind solche Experimente bislang nur an Tieren durchgeführt worden – die Mechanismen sind aber dieselben wie im Menschen. Außerhalb des Labors werden die höchsten Dosen der Liebeshormone beim Orgasmus, bei der Geburt, und beim Säugen ausgeschüttet, und bei weitem weniger auch bei Augenkontakt, bei zärtlicher Berührung und in verschiedensten gesellschaftlichen Situationen.
Eine einzige genetische Variation des menschlichen AVP Rezeptors kann die Heiratschancen halbieren.
Individuelle Unterschiede unserer Bindungsfähigkeit gehen auf denselben Mechanismus zurück. Genetische Unterschiede, aber auch Lebenserfahrung, vor allem während der Kindheit, können dort die Dichte der Liebeshormonrezeptoren in bestimmten Hirnarealen im limbischen System beeinflussen, was wiederum verschiedenste Aspekte unseres Sozialverhaltens beeinflusst. Beispielsweise kann eine einzige genetische Variation des menschlichen AVP Rezeptors die Heiratschancen halbieren, und die Häufigkeit von Beziehungskrisen verdoppeln. Kinder, die wenig Liebe erfahren, haben später weniger Liebeshormone im Blut. Im Labor konnte man nachweisen, dass Tiere, die als Babys mehr Aufmerksamkeit und Liebe erfahren haben, mehr OT-Rezeptoren im Hirn bilden, und als Erwachsene mehr Zeit mit Kindern und Partner:in verbringen. Liebe führt deshalb zu Liebe, und Liebesmangel in einer Familie oder in einer Gesellschaft kann, tragischerweise, auf die nächste Generation übertragen werden – über Gene ebenso wie über Erfahrung.
Unsere Studien haben zum ersten Mal eine Verbindung der menschlichen und tierischen Liebesmechanismen nahegelegt – und zur Sucht.
Obwohl Schriftsteller:innen, Musiker:innen (wie auch Mozart), sogar Historiker:innen schon lange erkannt hatten, dass Liebe ein Teil menschlicher Natur (sprich: Biologie) ist, taten sich Psycholog:innen und Neurowissenschaftler:innen seltsamerweise schwer mit dem Thema: Liebe wurde lange als entweder zu subjektiv gesehen um objektiv erforschbar zu sein, oder als menschliches Artefakt, das durch Kultur, Religion oder Rechtwesen entstanden ist. Die Wissenschaft der Liebe ist daher noch jung – nur wenige Jahrzehnte alt. Ich hatte das Glück, vor bald zwanzig Jahren ganz früh mit dabei zu sein, und einen gewissen Tabubruch zu begehen: Zusammen mit Semir Zeki machte ich die ersten Bildgebenden Studien im menschlichen Gehirn bei verliebten Paaren wie auch bei Müttern. Damals war noch nicht klar, ob im Menschen dieselben Mechanismen für Bindung verantwortlich sind wie bei den damals erst untersuchten Wühlmäusen. Unsere Studien haben gezeigt, dass bei mütterlicher Liebe wie auch bei romantischer Liebe dieselben Hirnareale aktiviert waren. Dies waren genau die Hirnregionen, welche auch in Süchtigen beim Anblick ihres Suchtmittels aufleuchten. Und dies waren auch genau dieselben Regionen, die in Tieren für Bindung verantwortlich sind – Wühlmaus, Schaf und Mensch sind sich hier gleich. Die Regionen haben gemeinsam, dass sie höchste Dichten an Rezeptoren der Liebeshormone Oxytocin (OT) und Vasopressin (AVP) aufweisen. Unsere Studien haben deshalb zum ersten Mal eine Verbindung der Liebesmechanismen im Menschen zum Tier und potentiell zur Sucht nahegelegt. Der zweite Befund, der immer noch ausschließlich im Menschen vorliegt, war, dass manche Hirnregionen, die mit kritischem Urteilen und auch mit negativen Emotionen verbunden sind, beim Anblick der geliebten Person in ihrer Aktivität unterdrückt werden – ein neurowissenschaftlicher Hinweis darauf, dass Liebesglück auch dadurch beibehalten wird, indem negatives ausgeblendet wird.
Selbst monogame Vögel machen Seitensprünge.
Über die grundlegenden Mechanismen der Liebe hinaus ist neurowissenschaftlich noch recht wenig bekannt. Es bleibt daher vor allem Spekulation, warum manche Paare lebenslang zusammenbleiben, andere nicht – abgesehen von den obengenannten Einflüssen von Genvarianten und Kindheitserfahrungen, die aber sicherlich nur ein kleiner Teil der Erklärung sind. Beim Menschen spielen sicherlich kognitive, charakterliche Faktoren eine entscheidende Rolle. Nur so viel sei gesagt: Obwohl sich Vögel oft lebenslang treu bleiben, und selbst beim Verlust des Partners keinen neuen Partner suchen, machen sie Seitensprünge. Ungefähr zehn bis fünfzehn Prozent ihrer Nachkommen finden dadurch ihren Ursprung, und Schätzungen legen beim Menschen ähnlich Zahlen nahe. Dass wir überhaupt beim Partner:in bleiben, hat mit der Spezifität des Lernmechanismus zu tun: Das Hirn muss die Verknüpfung – oft schmerzhaft – vergessen, bevor eine neue geknüpft werden kann. Da Liebeskummer aber durch dieselben Hormone reduziert werden kann, die auch neue Verknüpfungen herstellen, und die beim Sex ausgeschüttet werden, haben wir ja schon ein Rezept, darüber hinwegzukommen.
Liebeshormone fördern auch sozialen Ausschluss, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Egoismus.
Auch die dunkleren Seiten unserer Psyche werden durch Liebesmechanismen beeinflusst. Aggression gegen Näherungsversuche von anderen Personen und zum Schutz des:der Partner:in oder der eigenen Nachfahren sind durch dieselben „Liebeshormone“ und Dopamin gesteuert. Liebeshormone fördern auch sozialen Ausschluss, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Egoismus. Dies kann dadurch erklärt werden, dass der Liebesmechanismus auch unser Gefühl der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe vermittelt – was auch bedeutet, zu wissen und zu zeigen wer eben nicht dazu gehört.
Andreas Bartels leitet eine Forschungsgruppe am Zentrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen und am Max Planck Institut in Tübingen. Er erforscht die neuronalen Mechanismen visueller Wahrnehmung und Emotionen mittels neuester Verfahren zur Bildgebung am Menschen. Mit Semir Zeki hat er die ersten Hirnscan-Studien über romantische und mütterliche Liebe durchgeführt, und damit erste Hinweise auf die Ähnlichkeit von Liebe und Sucht, wie auch zur Bindungsfähigkeit von Tieren geliefert. Er hat Zoologie in Zürich studiert, Computermodelle von Neuronen am Salk Institute in San Diego (USA) erforscht und sein Doktorat in bildgebenden Neurowissenschaften am University College London (England) gemacht. Er liebt seine Familie, Sport und guten Humor.