Principal Dancer beendet Karriere

Nach sechs Jahren beim Bayerischen Staatsballett verabschiedet sich der Erste Solist Emilio Pavan von seinem Publikum. Nicht ganz freiwillig, eine wiederkehrende Rückenverletzung zwang ihn zu diesem Schritt. Wir haben mit ihm über diese Lebensentscheidung, seine Liebe zu München, seine herausforderndsten Bühnenmomente und sein neues Leben in Australien gesprochen.

 

Annette Baumann (AB): Emilio, Du beendest diesen Sommer aufgrund gesundheitlicher Probleme mit deinem Rücken vorzeitig deine Karriere. Die Entscheidung ist im Laufe der letzten Monate gefallen. Wie geht es dir heute damit?

Emilio Pavan (EP): Es geht mir gut mit dieser Entscheidung. Ich habe viele tolle Rollen getanzt und viele wunderbare Vorstellungen erleben dürfen. Es war immer mein Traum, Principal zu werden und bestimmte Partien zu tanzen: Romeo (in London in der Choreographie von Kenneth MacMillan, Anmerkung der Redaktion), Onegin, den Siegfried in Schwanensee, Armand in Kameliendame. Natürlich gibt es noch ein paar Ballette, die zu tanzen schön gewesen wäre. Aber gleichzeitig bin ich super dankbar für das, was ich erreicht habe. Das hat mir die Entscheidung erleichtert. Eine Verletzung ist sicher nicht der beste Grund, um aufzuhören. Andererseits: Das ist Leben. Und ich hatte lange das Glück, dass mein Körper das alles ohne Probleme mitgemacht hat. Aber ich sehe mich heute einfach nicht mehr in der Lage, auf die Bühne zurückkehren und die beste Zeit noch vor mir zu haben. Was ich erreicht habe, war das Beste. Wenn ich zurückkäme, würde ich sehr wahrscheinlich nicht mehr das Niveau erreichen, das ich hatte.

Ich möchte mich nicht zurückkämpfen, um dann zu realisieren, dass ich nicht mehr derselbe bin. Das ist es nicht wert.

AB: Was sind deine Pläne für danach?

EP: Ich habe angefangen, Sportwissenschaften zu studieren. Mein Ziel ist es, Personal Trainer zu werden. Nicht unbedingt im Bereich Ballett. Ich denke, dass ich das, was mich das Ballett gelehrt hat, für alle Sportarten gewinnbringend einsetzen kann. Wobei es natürlich schön wäre, denn Kontakt zum Ballett zu behalten. Wenn sich hier etwas ergibt, mache ich das super gerne. Aber ich suche nicht ausschließlich danach. Ich kann mir auch vorstellen, ein bisschen zu unterrichten. Aber letztlich wird das Leben zeigen, wo es hingeht. Sicher ist nur, dass ich in irgendeiner Form im Sport bleiben werden.
 

AB:  Erinnerst du dich an deine erste Ballettstunde? Wie bist du zum Ballett gekommen? 

EP: Ich habe als Kind Fußball gespielt und Karate gemacht. Aber meine Mutter und meine Schwester waren Tänzerinnen. Als meine Mutter mich beim Karatetraining gesehen hat, wie ich die Beine nach oben kickte, sagte sie: Es würde dir sicherlich helfen, ein paar Tanzstunden zu nehmen, um beweglicher zu werden. Und da ich in Karate unbedingt besser werden wollte, dachte ich, ok, dann probiere ich das halt mal. Ich habe erstmal mit Pilates angefangen. In der Pilatesklasse waren nur Mädchen und das fand ich richtig cool (er lacht). Da war ich ungefähr 13 oder 14. Es gab dann noch einen einzigen anderen Jungen, der ging in die Tanzklasse. Daraufhin habe ich auch Ballett ausprobiert – wir waren die einzigen beiden Jungen in der ganzen Stadt, die Ballett gemacht haben. Ich glaube, es war dieser soziale Aspekt – ein guter Freund und sonst nur Mädchen um mich rum – der wesentlich dazu beigetragen hat, dass ich als Junge beim Ballett geblieben bin. Mit dem Jungen von damals bin ich übrigens noch immer gut befreundet, er tanzt heute beim National Ballet of Canada.

Zauberer Rotbart in Schwanensee

AB: Und wann wusstest du, dass auch du Ballett zu deinem Beruf machen wolltest?

EP: Der einschneidende Moment war der, als ich realisiert habe, wie schwierig Ballett ist; welch strenge Methodik dahintersteckt. Es war vor allem diese Herausforderung, die ich geliebt habe. Das Nachdenken darüber, wie ich etwas schaffen kann, das so schwierig ist. Das wurde eine Obsession. Weil es einfach sooooo lange dauert, bis man gut wird im Ballett.

Ballett ist so verdammt hart.

Deswegen habe ich dann nacheinander mit Fußball und Karate aufgehört. Ich wurde im Ballett besser und dann sagten mir die Leute, ich sollte das doch Vollzeit machen. Ich wurde schließlich an der Australien Ballet School aufgenommen. Der Rest ist bekannt.
 

AB: Was hat dich 2017 nach München geführt?

EP:  Es war der Kontakt zu meinem Freund Osiel Gouneo. Wir hatten in London zusammen getanzt. Ich war damals in London nicht besonders glücklich. Die Compagnie ist großartig, aber mit der Stadt bin ich nicht so klargekommen. Zu groß, zu voll, zu busy. 

Nussknacker

AB: Wie war es für dich, nach München zu kommen?

EP: Ganz ehrlich: München ist meine absolute Lieblingsstadt. München ist die einzige Stadt in Europa, in der ich leben möchte. Ich gehe jetzt erstmal nach Australien zurück, weil ich dort angefangen habe zu studieren. Aber ich würde so gerne zurückkommen. Wirklich: Ich liebe München! München ist für mich Heimat. Ich fahre gerne Fahrrad, einfach die Isar entlang. Nach ein paar Kilometern hast du das Gefühl, in den Bergen zu sein, in der Natur. Aber eigentlich bist du noch mitten in der Stadt. Dieses Gefühl ist für mich so wichtig. Ich komme aus einer kleinen Stadt in Australien, direkt am Meer. Ich brauche ein bisschen Natur um mich rum. Zum Relaxen. Ich bin eine ziemlich gechillte Persönlichkeit. In München findest du diese Ruhe, aber es gibt trotzdem alles, was eine große Stadt braucht. Eine florierende Wirtschaft, das Oktoberfest, ein wunderbares Opernhaus.

München ist für mich mit nichts vergleichbar.


AB: Zurück zur Bühne: Mit welcher deiner Rollen hast du dich am meisten identifiziert?

AS: Die beiden Rollen, die mir persönlich am nächsten sind, waren Armand in Kameliendame und Onegin. Als Armand hatte ich wirklich unglaublich viel Spaß auf der Bühne. Da musste ich den Charakter gar nicht so vorbereiten, das war für mich ganz natürlich. Anders als zum Beispiel Spartacus, da musste ich mich richtig einlesen, um diesen Menschen zu verstehen. Als junger Mann durch Paris laufen und ein Mädchen hübsch finden, das ist real. Aber ich habe mich nie das römische Reich einnehmen sehen (er lacht) .
 

AB: Was war die schwierigste Rolle, die du je getanzt hast?

EP: Crassus in Spartacus. Du musst unglaublich fit sein, wenn du diese Rolle tanzt. Der Vorhang geht hoch und du musst schon bei der ersten Diagonale sofort auf über 100 Prozent sein. Als ich die Partie das erste Mal getanzt habe, habe ich nach dem ersten Auftritt Sterne gesehen. Weil dieses Solo so unglaublich intensiv ist. Nach der Show bist du fertig. Die Rolle nimmt dir alles an Energie und Emotionen.

Spartacus ist ein wunderschönes Werk. Aber es ist auch ein Biest. Ein Ballettbiest. Einfach verrückt.
 

AB: Hattest du je einen Glücksbringer?

EP: Ich habe keinen Talisman, nein. Wenn du den vergisst, stell dir vor, dann hast du die ganze Zeit Angst. Ich bin eine ziemlich entspannte Person.
 

AB: Hattest du als Tänzer ein Vorbild?

EP: I ch habe viele Tänzer bewundert, aber das hat sich immer geändert im Laufe der Zeit. Ich möchte nicht einen alleine nennen. Und manchmal gibt es Personen, die du bewunderst und dann triffst du sie in echt und denkst nur „was für ein Idiot.“ Wen ich hingegen wirklich sehr schätze, ist mein Kollege und Freund Osiel Gouneo.

Emilio Pavan als Crassus in Spartacus

AB: Du hast mal gesagt, Ballett sei für dich Lifestyle. Wie wird sich dein Lifestyle nun ändern, wo du nicht mehr jeden Tag im Studio stehst?

EP: Ich werde immer irgendwas machen. Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass ich jemals nichts tun werde. Ich habe heute früh mein Workout gemacht, ich mache heute Abend nochmal eines. Einfach weil es mir guttut und weil ich mich so gut fühle. Du lernst als Tänzer, was dein Körper braucht, um zu funktionieren. Es gibt für mich keinen Grund, einen Lifestyle und eine Strategie zu ändern, die mich zum Erfolg geführt haben. Außerdem: Mein Körper braucht das. Das bin ich. Ich fühle mich komplett anders und mein Gehirn funktioniert anders, wenn ich morgens nicht trainiert habe. Ohne Training kann ich nicht richtig denken. Mein ganzer Körper ist darauf eingestellt, seit der Kindheit .

 

AB: Worauf freust du dich in deinem neuen Leben?

EP:  Ich hoffe, dass ich es schaffe, in meinem neuen Beruf das gleiche Niveau zu erreichen wie im Ballett. Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch. Ich freue mich darauf zu sehen, wie weit ich jetzt in meinem zweiten beruflichen Leben komme – mit den Fähigkeiten, die ich mir im Ballett angeeignet habe. Früher war es mein größtes Ziel, Principal zu werden. Ich würde gerne ähnliches erreichen in meinem neuen Job.
 

AB: Welche Eigenschaft aus deiner Tänzerzeit wird dir für dieses neue Leben am meisten helfen?

EP: Disziplin. Das ist die Nummer 1.
 

AB: Du musst deine Karriere vorzeitig beenden, weil dein Rücken dieses Maß an Belastung nicht mehr aushält. Hast du einen Tipp für einen gesunden Rücken?

EP: Das wichtigste ist Mobilität, ist Stretching. Nach einer Vorstellung oder wenn du hart trainiert hast, verkürzen sich die Muskeln. Wenn du dich dann nicht dehnst, bleiben die Muskeln verkürzt und du bist am nächsten Morgen komplett steif. Und allgemeiner Tipp, wenn du Probleme mit dem Rücken hast: Checke deine Hüften. Und deine Vorderseite, oft gibt es auch eine Disbalance zwischen dem Vorderkörper und dem Rücken.
 

AB: Du hast einen Wunsch frei für die Zukunft der Compagnie, was wünscht du ihr?

EP:  Ich wünsche der Compagnie, dass sie weiter auf dem Weg vorangeht, auf dem sie gerade ist.

Das Bayerische Staatsballett ist eine der stärksten Compagnien der Welt.

Die Truppe ist in guten Händen, die Tänzerinnen und Tänzer sind unglaublich. Ich habe mir zuletzt, weil ich verletzt war, einige Vorstellungen vom dem Zuschauerraum aus angesehen – wozu ich sonst selten Gelegenheit hatte. Und ich war beeindruckt, wie großartig das Ensemble ist. Die Vorstellung von Schmetterling war mit das Beste, was ich je in meinem Leben gesehen habe. Ich gehe nur mit positiven Erinnerungen. Es ist wirklich hart, über den Abschied zu sprechen, ich werde München vermissen und all die Leute mit denen ich hier zusammengearbeitet habe.
 

AB: Emilio, wir wünschen dir von Herzen alles Gute!

Interview: Annette Baumann

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