Annabell Frankenfeld (AF): Gratulation zur Nominierung als Tänzerin des Jahres! In der Nominierung wurden deine Rollen in Romeo und Julia und in Schmetterling besonders hervorgehoben. Sind das auch deine persönlichen Paraderollen? Oder gibt es weitere, die für dich einen besonderen Stellenwert haben?
Laurretta Summerscales (LS): Ehrlich gesagt mag ich fast jede Rolle, die ich bis jetzt getanzt habe. Ich liebe, dass ich jedes Mal eine komplett neue Person werden kann. Ich denke, jeder tanzt aus einem bestimmten Grund. Ich tanze, um der echten Welt zu entfliehen, um mich selbst, meinen Kopf und meinen Körper hinter mir zu lassen – und einfach eine neue Person zu werden. Das fühlt sich für mich befreiend an. Das ist meine Form von Detox. Entsprechend ist jede Rolle etwas Besonderes. Man muss das nur erkennen. Klar, ich habe auch ein paar Lieblingsrollen, die ich aber nicht von den anderen abgrenzen und hervorheben möchte. Für mich gibt es nicht die eine bestimmte Rolle, vielmehr sind es Momente und Begegnungen mit wundervollen Menschen.
AF: Inwiefern sind das besondere Momente? Was macht sie so besonders?
LS: Es können wirklich besondere Sachen entstehen, wenn Menschen zusammenkommen, die auf einer Wellenlänge sind. Ich habe das schon oft erlebt. Dieses Jahr zum Beispiel, als Sol León und Paul Lightfoot (Anm. der Redaktion: Choreographen-Duo von Schmetterling) nach München kamen. Die Art, wie sie arbeiten, ist anders. Das war ein familiäres Miteinander, wo das Menschliche im Mittelpunkt stand. Im Ballett ist man oft sehr perfektionistisch, was durchaus wichtig ist. Aber es war erfrischend, mit Menschen zu arbeiten, die das Ganze aus einer anderen Perspektive betrachten. Auch die Arbeit mit Christopher Wheeldon (Anm. der Redaktion: Choreograph von Alice im Wunderland) und seinem Team war etwas Besonderes. Sie haben extrem auf die einzelnen Details geachtet. Und das hat mich tatsächlich frei gemacht. Wenn man die Musik und die Abläufe so gut kennt, weiß man genau, was man zu tun hat und was in dem einen Moment nötig ist. Es war wunderbar, Zeit mit ihnen zu verbringen und ihre Energie zu spüren. Und dann gibt es auch besondere Momente, die man mit seinen Partnern erlebt. Das macht auch die einzelnen Rollen besonders. Man muss hart für diesen Moment arbeiten. Wenn man den Punkt dann aber erreicht, ist das ein wunderbares Hochgefühl. Für mich geht es um Momente mit Menschen, die die Leidenschaft für diese Kunstform teilen. Das ist es, was einen wirklich glücklich macht. Wenn sich die Menschen wirklich für dich und das Ballett interessieren. Es geht nicht nur um sie allein oder nur um das Ballett. Das muss alles Hand in Hand gehen. Um das zu erreichen, muss man zusammenarbeiten. Wenn man sich zu sehr auf eine Sache konzentriert, gerät alles andere ins Ungleichgewicht und das ist nicht so schön.
AF: Wie bereitest du dich auf eine neue Rolle vor?
LS: Ich finde, die Musik ist die Grundlage von allem. Wenn ich keine Musik habe, zu der ich tanzen kann, ist es unfassbar schwer. Die Musik transportiert normalerweise die Stimmung, der ich dann einfach folge. Im Studio sprechen wir auch über viele Dinge. Zu Hause gehe ich abends alle meine Korrekturen durch und denke darüber nach. Manchmal wache ich dann mitten in der Nacht auf und kann nicht mehr einschlafen, weil mir so viele Gedanken durch den Kopf gehen. Wenn ich also an einem neuen Stück arbeite, schlafe ich wenig (lacht). Das ist ziemlich ärgerlich, aber so ist das nun mal.