Laurretta Summerscales in ALICE IM WUNDERLAND

LAURRETTA SUMMERSCALES IM GESPRÄCH

Laurretta Summerscales ist seit der Spielzeit 2017/18 Teil des Ensembles des Bayerischen Staatsballetts. Nun ist die Erste Solistin bereits zum zweiten Mal für den Preis "Dancer of the Year" der Fachzeitschrift DANCE EUROPE nominiert. Die Abstimmung für den Titel läuft noch bis zum 31. Oktober 2023. Im Gespräch erzählt die Tänzerin, die zuletzt in der Wiederaufnahme des Balletts Alice im Wunderland zu sehen war, was sie am Tanzen liebt, wie sie sich auf eine Rolle vorbereitet und inwiefern eine Auszeichnung die Kirsche auf dem Sahnehäubchen ist. 

Annabell Frankenfeld (AF): Gratulation zur Nominierung als Tänzerin des Jahres! In der Nominierung wurden deine Rollen in Romeo und Julia und in Schmetterling besonders hervorgehoben. Sind das auch deine persönlichen Paraderollen? Oder gibt es weitere, die für dich einen besonderen Stellenwert haben?

Laurretta Summerscales (LS): Ehrlich gesagt mag ich fast jede Rolle, die ich bis jetzt getanzt habe. Ich liebe, dass ich jedes Mal eine komplett neue Person werden kann. Ich denke, jeder tanzt aus einem bestimmten Grund. Ich tanze, um der echten Welt zu entfliehen, um mich selbst, meinen Kopf und meinen Körper hinter mir zu lassen – und einfach eine neue Person zu werden. Das fühlt sich für mich befreiend an. Das ist meine Form von Detox. Entsprechend ist jede Rolle etwas Besonderes. Man muss das nur erkennen. Klar, ich habe auch ein paar Lieblingsrollen, die ich aber nicht von den anderen abgrenzen und hervorheben möchte. Für mich gibt es nicht die eine bestimmte Rolle, vielmehr sind es Momente und Begegnungen mit wundervollen Menschen.

 

AF: Inwiefern sind das besondere Momente? Was macht sie so besonders?

LS: Es können wirklich besondere Sachen entstehen, wenn Menschen zusammenkommen, die auf einer Wellenlänge sind. Ich habe das schon oft erlebt. Dieses Jahr zum Beispiel, als Sol León und Paul Lightfoot (Anm. der Redaktion: Choreographen-Duo von Schmetterling) nach München kamen. Die Art, wie sie arbeiten, ist anders. Das war ein familiäres Miteinander, wo das Menschliche im Mittelpunkt stand. Im Ballett ist man oft sehr perfektionistisch, was durchaus wichtig ist. Aber es war erfrischend, mit Menschen zu arbeiten, die das Ganze aus einer anderen Perspektive betrachten. Auch die Arbeit mit Christopher Wheeldon (Anm. der Redaktion: Choreograph von Alice im Wunderland) und seinem Team war etwas Besonderes. Sie haben extrem auf die einzelnen Details geachtet. Und das hat mich tatsächlich frei gemacht. Wenn man die Musik und die Abläufe so gut kennt, weiß man genau, was man zu tun hat und was in dem einen Moment nötig ist. Es war wunderbar, Zeit mit ihnen zu verbringen und ihre Energie zu spüren. Und dann gibt es auch besondere Momente, die man mit seinen Partnern erlebt. Das macht auch die einzelnen Rollen besonders. Man muss hart für diesen Moment arbeiten. Wenn man den Punkt dann aber erreicht, ist das ein wunderbares Hochgefühl. Für mich geht es um Momente mit Menschen, die die Leidenschaft für diese Kunstform teilen. Das ist es, was einen wirklich glücklich macht. Wenn sich die Menschen wirklich für dich und das Ballett interessieren. Es geht nicht nur um sie allein oder nur um das Ballett. Das muss alles Hand in Hand gehen. Um das zu erreichen, muss man zusammenarbeiten. Wenn man sich zu sehr auf eine Sache konzentriert, gerät alles andere ins Ungleichgewicht und das ist nicht so schön.

 

AF: Wie bereitest du dich auf eine neue Rolle vor?

LS: Ich finde, die Musik ist die Grundlage von allem. Wenn ich keine Musik habe, zu der ich tanzen kann, ist es unfassbar schwer. Die Musik transportiert normalerweise die Stimmung, der ich dann einfach folge. Im Studio sprechen wir auch über viele Dinge. Zu Hause gehe ich abends alle meine Korrekturen durch und denke darüber nach. Manchmal wache ich dann mitten in der Nacht auf und kann nicht mehr einschlafen, weil mir so viele Gedanken durch den Kopf gehen. Wenn ich also an einem neuen Stück arbeite, schlafe ich wenig (lacht). Das ist ziemlich ärgerlich, aber so ist das nun mal.

Laurretta Summerscales mit Robin Strona

AF: Was bedeutet dir das Tanzen?

LS: Tanz bedeutet mir alles. Es klingt nach einem Klischee, aber es ist ein Teil von mir. Ich liebe es, wie ich die Emotionen hineinlegen kann, die ich gerade fühle. Wenn es mir zum Beispiel mental nicht gut geht, dann gehe ich in eine Probe, bin im Studio, höre die Musik, tanze dazu – und danach fühle ich mich wie neugeboren.

 

AF: Was macht einen guten Tänzer in deinen Augen aus?

LS: Ein guter Mensch zu sein. Jeder hat Unsicherheiten. Beim Tanzen können diese Unsicherheiten besonders groß sein, da jeder eine Meinung hat, die man nicht beeinflussen kann. Gerade wenn man jung ist, wird man schnell davon verunsichert, was andere über einen denken könnten. Das ist etwas, wofür Ballett oft kritisiert wird. Im Endeffekt ist das aber menschlich. Die Leute werden weiter ihre Meinung haben und man muss einen Weg finden, damit klarzukommen. Freundlich sein und zu akzeptieren, dass man jeden Tag sein Bestes gibt – das ist alles, was man tun kann. Und das Wichtigste: Man muss über sich selbst lachen können. Wir alle machen mal Fehler. Es passiert immer wieder, dass etwas furchtbar aussieht. Das passiert selbst den besten Tänzerinnen und Tänzern. Wenn man aber keine Korrekturen annimmt oder denkt, perfekt zu sein, dann wird man nicht die beste Version seiner selbst. Nimm dir den Moment, um über dich selbst zu lachen. Dann wird es auch zu einer schönen Erfahrung, die du mit den Menschen teilst, mit denen du gerade arbeitest.

Laurretta Summerscales in ALICE IM WUNDERLAND

AF: Du hast schon viele Preise gewonnen. Jetzt bist du als Tänzerin des Jahres nominiert. Haben Preise eine besondere Auswirkung auf die Ballettkarriere?

LS: Ja, ich denke schon. Wenn ein Tänzer einen Preis hat, denken die Leute automatisch, dass es sich um einen guten Tänzer handelt, ohne ihn je tanzen gesehen zu haben. Wenn man die Wahl zwischen zwei Personen hat, zwischen einer mit Auszeichnungen und einer ohne, dann wählt man in der Regel die Person mit einem Preis. Ich glaube, eine Auszeichnung gibt dir entsprechend Aufmerksamkeit, was schön ist.

 

AF: Was würde die Auszeichnung als Tänzerin des Jahres bedeuten?

LS: Es wäre wundervoll, den Preis zu gewinnen. Dance Europe ist ein hochangesehenes Magazin und es wäre sehr schön, diese Anerkennung zu bekommen. Aber es sind großartige Tänzerinnen und Tänzer nominiert. Allein schon mit ihnen zusammen nominiert zu sein, macht mich glücklich.

 

AF: Und was bedeuten dir Preise persönlich?

LS: Als ich jünger war, haben sie mir viel bedeutet. Jetzt bin ich älter und sehe das Leben mit anderen Augen. Ich mag Auszeichnungen. Einen Preis zu gewinnen fühlt sich wie eine schöne, warme Umarmung an. Und manchmal wünschst du dir diese Umarmung. Aber es gibt andere Dinge, die mich glücklich machen, sei es auf der Bühne zu stehen oder Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Ich tanze nicht, um Auszeichnungen zu bekommen. Ich tanze, weil ich es liebe. Und wenn wann man einen Preis dafür bekommt, ist das toll. Ein Preis ist wie die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Aber ich brauche diese Kirsche nicht. Ich habe trotzdem den kompletten Kuchen und kann den jeden Tag essen – und das ist toll.

AF: Vielen Dank für das Interview, Laurretta!

Das Interview führte Annabell Frankenfeld.

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