Die Bayerische Staatsoper trauert um den Dirigenten Michail Jurowski, der am 19. März im Alter von 76 Jahren verstorben ist.
In seinem sechs Jahrzehnte währenden Wirken hat er die Welt von Oper und Konzert auf kaum zu ermessende Weise bereichert. 1945 in Moskau als Sohn eines Komponisten und als Enkel eines Dirigenten geboren, ist er selbst lange Zeit Mittelpunkt einer Musikerfamilie gewesen: Seine Tochter ist Pianistin, seine beiden Söhne sind wie er Dirigenten geworden; der ältere, Vladimir Jurowski, ist seit dieser Saison Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper.
Michail Jurowski hat als Kind noch mit Dmitri Schostakowitsch vierhändig Klavier gespielt, mit unzähligen anderen Komponisten seiner Zeit sollte er im Laufe seines Lebens gut bekannt und befreundet werden. Nach einem Musikwissenschafts- und Dirigierstudium assistierte er Gennadi Roschdestwenski und dirigierte bald selbst, unter anderem am Bolschoi-Theater und am Stanislawski-und-Nemirowitsch-Dantschenko-Theater in Moskau. Nicht zuletzt aufgrund von antisemitischen Tendenzen in der damaligen Sowjetunion wurde er nicht immer seiner Begabung entsprechend beschäftigt, doch auch aus vermeintlich weniger attraktiven Aufgaben schlug er musikalische Funken – unter anderem mit der Leitung von Operetten- und Ballettaufführungen, wofür er bald international hochgeschätzt wurde. Schon seit 1978, lange vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, arbeitete er als Ständiger Gastdirigent an der Komischen Oper Berlin. 1990 zog er mit seiner Familie gänzlich nach Deutschland; von diesem Jahr an war er regelmäßig am Pult vieler deutscher und europäischer Opernhäuser und Konzertorchester zu erleben, sowohl als gerngesehener Gast (wie an der Semperoper Dresden, der Deutschen Oper Berlin, der Oper Frankfurt, am Teatro alla Scala in Mailand, an der Opéra national de Paris, beim London Philharmonic Orchestra, bei den Sankt Petersburger Philharmonikern, beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und bei der Dresdner Philharmonie) als auch mehrfach in Leitungspositionen (wie an der Oper Leipzig und beim WDR Rundfunkorchester). Sein enzyklopädisches Wissen und sein philologischer Spürsinn haben sich in seinen Konzertprogrammen und Aufnahmeprojekten niedergeschlagen. Die Zahl der von ihm dirigierten Ersteinspielungen ist Legion – darunter Kompositionen und ganze Werkserien von Giacomo Meyerbeer, Franz Lehár, Franz von Suppè, Ottorino Respighi, Ture Rangström, Wilhelm Peterson-Berger, Berthold Goldschmidt, Aram Chatschaturjan, Sergej S. Prokofjew und Nikolai Rimski-Korsakow. Besonders nachdrücklich war sein Einsatz für die epochemachenden Filmmusiken von Dmitri D. Schostakowitsch. Auch die Gründung und Etablierung der Internationalen Schostakowitsch-Tage in Gohrisch wurden von ihm maßgeblich gefördert. Eine 2015 erschienene Biografie gibt Zeugnis von seinen vielen Begegnungen mit großen Künstlern und seiner unwiderstehlichen Gabe zu erzählen.
An der Bayerischen Staatsoper hat Michail Jurowski in der Spielzeit 2016/17 mit einer Vorstellungsserie von Der feurige Engel sein Debüt gegeben. Im April hätte er für die Leitung eines Akademiekonzerts ins Nationaltheater München mit Werken von Pjotr I. Tschaikowski und Sergej S. Prokofjew zurückkehren sollen – Komponisten, die ihm besonders nahestanden. Sein gesundheitlicher Zustand hat ihn vor einigen Tagen gezwungen, seine Mitwirkung an diesem Konzert abzusagen. Nun hat der Tod ihm noch schneller als befürchtet den Taktstock für immer aus der Hand genommen. Wir werden ihn sehr vermissen und verneigen uns vor einer großen musikalischen Lebensleistung.