Nachruf auf Stefan Soltesz
Mit Stefan Soltesz verlieren wir einen beispielhaften Musiker. Sein Leben hat er seiner Kunst gewidmet, die er in jeder Situation und ohne Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand ausübte. Der Tod hat ihn bei uns im Nationaltheater überrascht. Am Abend des 22. Juli 2022 ist er während der Vorstellung von Die schweigsame Frau zusammengebrochen und anschließend im Krankenhaus verstorben.
Stefan Soltesz hat sich von dieser Welt verabschiedet mitten im Geschehen, indem er Die schweigsame Frau auf außergewöhnliche Weise dirigierte, die Feinheit der Strauss'schen Orchestrierung und die verschiedenen schimmernden Farben des Orchesters enthüllte. An diesem Haus, an dem Richard Strauss so eine wichtige Bedeutung hat. Hier, wo Stefan Soltesz 1995 mit Il barbiere di Siviglia debütierte und in den letzten Jahren viele Vorstellungen leitete, neben Die schweigsame Frau auch Fidelio, Les vêpres siciliennes, Falstaff, Arabella, Der fliegende Holländer und La bohème.
Stefan Soltesz, geboren in Ungarn, studierte Dirigieren, Komposition und Klavier an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien bei Hans Swarowsky. Nach Stationen als Dirigent in Wien und Graz und als Musikalischer Assistent von Karl Böhm, Christoph von Dohnányi und Herbert von Karajan bei den Salzburger Festspielen war er Dirigent der Staatsoper Hamburg, der Deutschen Oper Berlin sowie Generalmusikdirektor am Staatstheater Braunschweig. Von 1992 bis 1997 war er Chefdirigent der Vlaamse Opera in Antwerpen/Gent. Als Stefan Soltesz von 1997 bis 2013 Generalmusikdirektor und zudem Intendant des Aalto-Musiktheaters in Essen war, wurde seinem Theater 2008 von der Zeitschrift Opernwelt der Titel „Opernhaus des Jahres“ verliehen. Sein Orchester, die Essener Philharmoniker, waren 2003 und 2008 „Orchester des Jahres“.
Als Dirigent war Stefan Soltesz ein in sich ruhender Kapellmeister – im besten Sinne! –, der an der Spitze eines Orchesters eine Garantie war, eine Garantie für Redlichkeit, eine Garantie für Qualität, eine Garantie für Respekt für den Komponisten, aber auch für die Musikerinnen und Musiker des Orchesters. Er wurde für Gastdirigate an alle großen Opernhäuser Deutschlands eingeladen, ebenso nach Wien, Paris, Rom, Budapest, Warschau, Amsterdam, London, zu den Festivals in Aix-en-Provence, Glyndebourne und Savonlinna sowie nach Buenos Aires, Japan und in die USA. Was seine Arbeit unabhängig von seinem breit aufgestellten Repertoire – ob Richard Strauss, Franz Schreker, Jacques Offenbach oder Wolfgang Amadeus Mozart – auszeichnete, war die Sorgfalt, mit der er die Textur einer Partitur enthüllte: Alles war immer klar, deutlich, leuchtend. Seine Interpretation bemühte sich um Ausgewogenheit und war von außerordentlicher Eleganz – wenn auch er durchaus scherzen konnte und ein guter Partner für Bühnenwitz in der Operette war. Er hatte die Bereitschaft, zuerst das Werk und dann sich selbst zu befragen.
Mit Stefan Soltesz ist ein großer Künstler von uns gegangen, den wir schmerzlich vermissen werden.
25.7.2022