Der großen Agnes Baltsa zum Achtzigsten
Ihre Carmen ist noch immer Inbegriff dieser Partie, sie sang die großen Mozart-Frauen wie wenige andere, war im Belcanto zu Hause ebenso wie im Verismo, konnte Komödie und Wagner-Drama und bedachte immer wieder auch die Randbereiche des Repertoires: Agnes Baltsa, die große griechische Mezzosopranistin, vollendet am 19. November ihr achtzigstes Lebensjahr. Erst vor wenigen Jahren hat sie, ohne jeglichen Aufhebens, einen leisen Abschied von der Bühne genommen. Herbert von Karajan nannte sie einst „die bedeutendste dramatische Mezzosopranistin dieser Zeit“, und es dürfte viele Opernkenner und Musikenthusiasten geben, die seinem Urteil auch heute noch beipflichten. Ihre Stimme bleibt dank zahlreicher Einspielungen weiterhin präsent; insbesondere mit Karajan hat sie wesentliche Partien ihrer Karriere für die Schallplatte festgehalten, die genannte Carmen, Eboli, Amneris, ganz früh eine Herodias und viele mehr; Dirigenten wie Riccardo Muti, Claudio Abbado und Lorin Maazel haben sie ebenso als Partnerin im Tonstudio geschätzt. Das unnachahmliche Timbre ihrer von Natur aus eher leichten, von Mozart herkommenden Stimme, die sich auf charakteristische Weise die Registerunterschiede zunutze zu machen wusste und mit geschickter Farbgebung auch hochwogendes Orchestergetümmel durchdringen konnte, wird niemand vergessen, der sie live erleben konnte. Ihre Figurenporträts waren weit über die vokale Gestaltung hinaus psychologisch eindringliche Deutungen. Kaum allgemein bekannt ist allerdings, wie ihre Laufbahn begann: nämlich als „Mitglied des Studios der Bayer. Staatsoper“ – so steht es im Vertrag, der wohlbehütet im Personalakt-Archiv des Nationaltheaters München verwahrt wird.
Ausgestattet mit dem Maria-Callas-Stipendium, das ihr die Fortsetzung ihrer in Athen begonnenen Studien im Ausland ermöglichte, kam sie im Herbst 1967 nach Deutschland. Im Oktober begann ihr Münchner Engagement, vereinbart für eine Spielzeit mit Option zur Übernahme ins Ensemble in der darauffolgenden Saison. Die junge Sängerin war laut Vertrag verpflichtet, am Unterricht des Opernstudios teilzunehmen, denn das war ausdrücklich die „Voraussetzung für die Übertragung von sängerischen Aufgaben“; und wenn diese Partien umfangreicher ausfielen, gab es eine zusätzliche Gage: „Bei Übernahme von solistischen Aufgaben von mehr als 30 Gesangstakten setzt die Intendanz eine Sondervergütung […] fest“. Verbürgt sind viermal die Brautjungfer im Freischütz, erstmals am 12. November 1967 unter Joseph Keilberth – wohl nicht nur Agnes Baltsas erster Auftritt in München, sondern überhaupt ihr professionelles Operndebüt –, sechs Vorstellungen als Zweite Erscheinung in Verdis Macbeth und eine als Dritte adelige Waise im Rosenkavalier (mit Brigitte Fassbaender als Octavian), alles im Frühjahr 1968. Für Mai war sie noch als Flora in La traviata eingeplant, doch bat sie, aus familiären Gründen von dieser Verpflichtung entbunden zu werden; so wurde das Verhältnis im gegenseitigen Einvernehmen vorzeitig aufgelöst. Ihr Weg führte die Baltsa nach Frankfurt und bald nach Wien, wo die Staatsoper für die kommenden Jahrzehnte ihre künstlerische Heimat wurde: Ausgangspunkt für eine Karriere, die an alle großen Bühnen der Welt führte. Doch die Verbindung nach München blieb bis zum Ende ihrer aktiven Laufbahn eng; an die 70 Vorstellungen hat sie hier gesungen. (Nicht zuletzt hat sie ihren Mann, den aus Augsburg stammenden Bassisten Günter Missenhardt, während ihrer Zeit am Opernstudio kennengelernt.) Ihre erste Rückkehr galt 1973 dem Rosenkavalier-Octavian („Besetzungsmangel – Fassbaender und Berthold nicht anwesend“, heißt es auf der Honoraranweisung): das war ihr einziger Münchner Auftritt mit dieser Partie und offenbar auch ihre einzige Vorstellung mit dem Dirigenten Carlos Kleiber. In den 1980er und 1990er Jahren zählte sie regelmäßig zu den prominentesten und begehrtesten Gästen in München, als Eboli, Angelina (La Cenerentola), Isabella (L’Italiana in Algeri, ihre einzige Premiere an der Bayerischen Staatsoper), Charlotte (Werther) und Santuzza (Cavalleria rusticana). In späteren Jahren, 2008 und 2009, brachte sie ihre Klytämnestra auf die Bühne des Nationaltheaters; mit dieser Partie, die sie so scharf wie feinziseliert anlegte, bestritt sie auch ihre letzte Vorstellung mit dem Ensemble der Bayerischen Staatsoper auf einem Gastspiel in Bukarest im Jahr 2015. Nicht zu vergessen ihre solistische Teilnahme an zwei Akademiekonzerten mit dem Bayerischen Staatsorchester, beide der Musik Gustav Mahlers gewidmet: 1980 DasLied von der Erde (an der Seite von Wolfgang Neumann unter der Leitung von Marek Janowski) und 1993 die Kindertotenlieder (dirigiert von Giuseppe Sinopoli). An ihr Recital mit griechischen Liedern im Prinzregententheater im Jahr 2010 erinnern sich viele, und womöglich auch daran, dass sie beim Galakonzert zur Wiedereröffnung jenes Hauses ebenfalls unter den Mitwirkenden war. Das Münchner Musikleben hat ihr also viel zu verdanken, und die Bayerische Staatsoper gratuliert ganz herzlich zum runden Geburtstag. Baltsa, bravissima!
Malte Krasting