Unstillbare Sehnsucht
Zum Vorspiel zu Tristan und Isolde von Richard Wagner (Bearbeitung für Klavier von Zoltán Kocsis)
Text von Jürgen Ostmann
Die Romantik war die Glanzepoche der Programmmusik, eines Genres der Instrumentalmusik, in dem noch viel detailfreudiger als in Robert Schumanns poetischen Charakterstücken auf literarische und sonstige außermusikalische Inhalte Bezug genommen wurde. Richard Wagner schrieb zwar kaum selbstständige Instrumentalmusik, doch einige Auszüge aus seinen Bühnenwerken könnte man durchaus der Programmmusik zurechnen, allen voran das Vorspiel zu Tristan und Isolde. Uraufgeführt wurde die gesamte Oper zwar erst 1865, doch bereits am 12. März 1859 stellte Wagner das Vorspiel als instrumentales Konzentrat der Oper dem Prager Publikum vor. Und bei einem Sankt Petersburger Konzert am 26. Februar 1863 begründete er die Tradition, die Eröffnungsmusik mit einer instrumentalen Fassung der Schlussszene zu koppeln. Wohl auch, um sich vor Fehldeutungen seiner revolutionär neuen Klänge zu schützen, gab Wagner ihnen ausführliche programmatische Erläuterungen mit auf den Weg. So hören wir, nach seinen Worten, im Vorspiel „ das unersättliche Verlangen anschwellen, von dem schüchternsten Bekenntnis, der zartesten Hingezogenheit an, durch banges Seufzen, Hoffen und Zagen, Klagen und Wünschen, Wonnen und Qualen, bis zum mächtigsten Andrang, zur gewaltsamsten Mühe, den Durchbruch zu finden, der dem grenzenlos begehrlichen Herzen den Weg in das Meer unendlicher Liebeswonne eröffne. Umsonst! Ohnmächtig sinkt das Herz zurück, um in Sehnsucht zu verschmachten […].“
Die unaufgelösten Dissonanzen Wagners — unter ihnen der berühmte, harmonisch äußerst vieldeutige „Tristan-Akkord“ des zweiten Takts — stellen das Drama der beiden Liebenden dar, denen die Erfüllung im Leben versagt bleibt. Diesen Dissonanzen stehen in der Schlussszene ekstatische, jedoch harmonisch stabilere Klänge gegenüber. Wagner selbst bezeichnete den sogenannten „Liebestod“ lieber als „Isoldes Verklärung“. Dazu bemerkte er: „Was das Schicksal trennte, lebt nun verklärt im Tode auf; die Pforte der Vereinigung ist geöffnet. Über Tristans Leiche gewahrt die sterbende Isolde die seligste Erfüllung des glühenden Sehnens, ewige Vereinigung in ungemessenen Räumen, ohne Schranken, ohne Banden, unzertrennbar …“ Nun also das Tristan-Vorspiel in einer Klavier-Transkription. Zoltán Kocsis (1952–2016) griff mit seiner Bearbeitung eine bedeutende Tradition des vorletzten Jahrhunderts auf: Kaum ein anderes Genre der Klaviermusik war damals beliebter als das der Variationen, Fantasien, Réminiscences, Paraphrasen oder Caprices über bekannte Opernmelodien.
Solche Reduktionen für Klavier zu zwei oder zu vier Händen dienten zum einen der Verbreitung der Musik, denn vor dem Zeitalter von Schallplatte und Rundfunk boten sie vielen Musikliebhabern die einzige Gelegenheit, größer besetzte Werke kennenzulernen. Zum anderen nutzten die schwächeren unter den komponierenden Pianisten Opernbearbeitungen als bloße Vehikel, um „alle mögliche technische Geschicklichkeit des Virtuosen auf einmal an den Mann zu bringen“, so Adolph Bernhard Marx im Jahr 1825. „Sie sind dann auch nichts anderes […] als eine Reihe Fingerübungen mit ein paar melodischen Fetzen aneinander genäht und in eine gewisse hergebrachte Form gebracht.“ Die Beiträge des unübertrefflichen Virtuosen Franz Liszt beeindrucken dagegen nicht alleine durch haarsträubende Schwierigkeiten, sondern auch durch quasi orchestrale Klangfarben und originelle Formideen. Von den etwa 60 Operntranskriptionen Liszts basieren nicht weniger als 15 auf der Musik seines Freundes und Schwiegersohnes Richard Wagner. Auch den „Liebestod“ aus Tristan und Isolde hat Liszt für Klavier bearbeitet, nicht aber das Vorspiel der Oper. Diese Lücke füllte Kocsis 1978 mit seinem Arrangement, das Wagners schimmernde Orchesterfarben kongenial in Klaviertexturen übersetzt.