Ksenia Shevtsova im Gespräch
Seit Januar 2024 lebt und arbeitet die gebürtige Russin Ksenia Shevtsova in München. Ausgebildet an der renommierten Waganowa-Ballettakademie in Moskau tanzte sie über 10 Jahre am dortigen Stanislavsky-Theater, bevor sie Ballettdirektor Laurent Hilaire zum Bayerischen Staatsballett nach München folgte. Am 22. November 2024 interpretiert sie in der Premiere von La Sylphide im Nationaltheater die Titelpartie. Wir haben mit ihr über Kindheitserinnerungen und die Energie des Publikums gesprochen; und darüber wie es ist, "mit den Beinen zu atmen".
„In LA SYLPHIDE atmen wir mit den Beinen“
(Annette Baumann) AB: Wie bist du zum Tanzen gekommen?
(Ksenia Shevtsova) KS: In der Sekundarschule, die ich besuchte, gab es eine gute Kunstschule mit vielen unterschiedlichen Angeboten. Und meine Mutter meinte, dass ich ein Hobby bräuchte. Ich habe erst Unterricht in Zeichnen genommen. Aber da gab es Hausaufgaben, deshalb habe ich damit wieder aufgehört. Dann wollte ich singen, aber dort mussten wir mit den Händen im Rhythmus klatschen, das hat mich auch nicht interessiert. Letztlich habe ich Tanzen ausprobiert und da war mir sofort klar, dass es das war, was ich machen wollte. Auch wenn das kein Ballett war. Etwas später wurde mir geraten an die Ballettschule des Staatlichen Opernhauses zu wechseln, wo ich zwei Jahre Unterricht nahm. Und dort kam dann ein Lehrer der Waganowa-Ballettakademie zu Besuch. Er hat mir vorgeschlagen, es an der Akademie zu versuchen. Mit 14 Jahren haben ich dort mit dem professionellen Waganowa-Training angefangen.
AB: Erinnerst du dich an deine erste Tanzstunde?
KS: An die erste Tanzstunde nicht, aber an die Waganova-Ausbildung. Dort herrschte eine ganz andere Disziplin, man durfte im Unterricht auch nicht sprechen. Wenn dein Lehrer dich auf einen Fehler hingewiesen hat, durfte man nicht antworten. Das war neu für mich, ich hatte ja bis dahin nur zum Spaß getanzt, da war das etwas lockerer. Heute kann ich natürlich meine Meinung äußern, wenn der Ballettmeister etwas zu mir sagt.
AB: Gibt es ein bestimmtes Ballett oder eine Rolle, die du besonders gerne tanzt?
KS: Schwierig. Es ist immer ein Prozess. Manche Rollen brauchen Zeit. Und es kommt auf den Partner an. Ich habe Manon von MacMillan geliebt. Und auch die Sylphide in der Fassung von Pierre Lacotte. Die habe ich in Moskau bereits einstudiert und freue mich sehr, dass ich nun hier in München die Premiere tanzen darf. Aber eine Lieblingsrolle im klassischen Sinne könnte ich nicht nennen.
AB: Kommen wir zu La Sylphide: Wir zeigen die Version von Pierre Lacotte, die geprägt ist vom französischen Stil und der französischen Technik. Was ist das Besondere daran?
KS: Die französische Tanztechnik zeichnet sich vor allem durch die Arbeit der Füße aus. Es gibt viele kleine, schnelle Bewegungen, die sehr präzise ausgeführt werden müssen; eine fünfte Position zum Beispiel muss ganz exakt sein. Entscheidend bei Sylphides Auftritt ist aber die französische Stilistik, die Schauspielerei. Ein Gespräch zwischen den Tänzerinnen und Tänzern sieht ganz natürlich aus, ohne groteske Bewegungen. Ich finde, Lacottes La Sylphide ist ein sehr stilvolles Ballett. Die Sylphide ist kein totes Mädchen. Sie ist ein Geist der Luft, sie verkörpert die Natur. Die Sylphide ist der nicht erreichbare Traum von James. Dieses schwebende, nicht zu greifende Westen müssen wir auf der Bühne darstellen.
AB: Wie genau muss man sich das technisch vorstellen?
KS: Wir machen das, indem wir versuchen, möglichst leicht auszusehen. Man darf dabei allerdings auch nicht die ganze Zeit nach oben denken. Denn wenn man dauernd springt, kommt man ja auch immer wieder mehr oder weniger hart auf. Man muss also ein plié (Kniebeuge, mit der ein Sprung beginnt und endet, Anmerkung der Redaktion) so machen, als ob es nichts wäre. Außerdem atmen wir anders. Wir atmen mit den Beinen. Bewegung kann im Körper ja auf verschiedenen Ebenen entstehen, in den Knochen, in den Muskeln und im Atem. Wenn wir uns mit den Muskeln bewegen, ist das eine starke Bewegung. Wenn man sich mit dem Atmen bewegt, ist das anders. Du spürst dann die Muskeln nicht mehr physisch. Du spürst nur die Energie, die durch den Körper fließt.
AB: Wer bringt euch diese Technik bei, dieses „mit den Beinen atmen“?
KS: Laurent Hilaire hat es mir erklärt und davor auch meine Ballettlehrerin in Moskau. Und ich habe eine Aufzeichnung gesehen. Die Sylphide war hier sehr leicht, eben war sie noch da und in der nächsten Sekunde ist sie schon wieder in einer anderen Ecke. Manchmal braucht man ein Video, um den Stil zu verstehen.
AB: Hast du einen Rat an junge Menschen, die professionelle Tänzer:innen werden möchten?
Aus einer Tänzergruppe im Hintergrund ertönt Lachen, man hört den Kommentar „Fang gar nicht erst an!“
KS: Doch, fangt an! Aber richtig. Viele junge Tänzer heute wollen gar nicht tanzen. Sie wollen tolle technische Dinge machen. Aber das ist keine Kunst. Das ist dumm, denn sie verstehen nicht, was sie tun. Sie verstehen den Sinn einer Bewegung nicht. Aber das musst du. Du musst wissen, wie du die Bewegungen richtig ausführst und was du damit sagen willst. Das ist auch eine Aufgabe von Lehrern und Ballettmeistern.
AB: Was macht denn für dich einen guten Lehrer aus?
KS: Das ist jemand, der den Prozess versteht. Jemand der einen nicht nur unterrichtet, sondern mit einem arbeitet.
AB: Kannst du das genauer erklären, diesen Unterschied zwischen unterrichten und mit jemandem arbeiten?
KS: Das ist ein großer Unterschied. Wenn dich jemand unterrichtet, ist das ein anderer Prozess. Wenn du mit jemandem arbeitest, offenbarst du deine Gedanken, teilst deine Gefühle – mit den Coaches und den anderen Tänzern. Manchmal können wir Tänzer uns gegenseitig sogar besser helfen als die Ballettmeister, weil wir so Vieles teilen.
AB: Was macht am Ballerina-Dasein am meisten Spaß?
KS: Wer sagt, dass es mir Spaß macht? (lacht)
AB: Ich habe es angenommen, weil du eine professionelle Tänzerin geworden bist. (lacht)
KS: Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es die Energie der Zuschauer, die man auf der Bühne fühlt. Wenn man auf der Bühne steht, teilt man. Es ist, wie wenn man Energien austauscht. Das ist schon etwas Besonderes an diesem Beruf.
AB: Letzte Frage: Worauf freust du dich in dieser Spielzeit besonders?
KS: Ich mag keine Pläne. Ich kann auf den heutigen Tag schauen und auf den für morgen. Danach schaue ich einfach, was kommt.
Dieses Interview wurde von Annette Baumann geführt.