Das Haus der Gewerkschaften in Moskau
Hintergründe zum Bühnenbild der Neuinszenierung
Text: Analena Weres
Analena Weres ist Musik- und Theaterwissenschaftlerin. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Oper des 19. und 20. Jahrhunderts, Librettoforschung und das zeitgenössische Musiktheater. Sie hat über das Werk unter anderem von Richard Wagner, Alban Berg, Nikolai Rimski-Korsakow, Alexander Borodin, Igor Strawinsky und Richard Strauss publiziert. Eine langjährige Zusammenarbeit verbindet sie mit dem Regisseur Dmitri Tcherniakov.
Das Haus der Gewerkschaften ist ein Gebäude aus dem 18. Jahrhundert im Zentrum von Moskau, nicht weit entfernt vom Kreml. Ursprünglich wurde es nach einem Entwurf des Architekten Matwej Kasakow als Stadthaus für Fürst Wassili Dolgorukow-Krimski, 1780–82 Oberbefehlshaber von Moskau, gebaut. (Den Titel „Krimski“ erhielt er unter Katharina II. für seine Verdienste im Russisch-Türkischen Krieg von 1768 bis 1774, als unter seiner Führung die russische Armee die Krim von der osmanischen Besatzung befreite). Nach Dolgorukows Tod 1784 wurde das Haus von der sogenannten „Adelsgesellschaft“ erworben und unter dem Namen „Haus der Adelsversammlung“ als öffentliches Gebäude genutzt. Die Adelsgesellschaft war bis 1917 ein Organ der lokalen Selbstverwaltung in Russland; die Gesellschaften waren nach dem Prinzip der Regionen (Provinzen und Bezirke) zunächst auf eigene Faust organisiert und vereinigten die Grundbesitzer einer bestimmten Provinz zur Lösung sozialer und anderer Fragen. Im Jahr 1782 verankerte Katharina II. die Institution per Edikt. Um dem neuen Zweck gerecht zu werden, wurde das Haus im Inneren grundlegend umgebaut und der berühmte Säulensaal an der Stelle des Innenhofs errichtet: ein riesiger Saal von sechshundert Quadratmetern mit 28 dorischen Säulen und einer 14,5 Meter hohen Decke, die von dem Künstler Giovanni Batista Scotti mit mythologischen Gestalten bemalt wurde. Der Saal bot fünfhundert Tanzpaaren Platz und war berühmt für seine Akustik: Die flache Holzdecke diente als Resonanzboden, der den Schall reflektierte und verstärkte. Regelmäßige Treffen der Adelsgesellschaft, Feste und Bälle wurden dort mit einem Orchester auf der Kolonnade abgehalten. Auf der anderen Seite der Kolonnade durften „Personen aller Klassen, die kein Recht hatten, sich in die Versammlung einzuschreiben, aber den Tanz und Glanz der Versammlung des russischen Adels sehen wollten“, das Spektakel beobachten.
Während des „Vaterländischen Krieges“ von 1812 wurde das Gebäude durch den Brand Moskaus, der zwei Drittel der Stadt vernichtete, schwer beschädigt und das Dach zerstört. Das Haus wurde von Alexej Bakarew, einem Schüler des Architekten Kasakow, teilweise aus privaten Spenden restauriert. Im Zuge der Renovierungsarbeiten wurde am 12. Dezember 1814 ein Ball veranstaltet, an dem 1115 Personen teilnahmen. In den 1820er Jahren wurden die Räume vermietet und häufig für Bälle des von Tolstoi in Krieg und Frieden erwähnten Tanzmeisters Pjotr Andrejewitsch Iogel angemietet. Dort hat der Dichter Alexander Puschkin seine spätere Frau Natalja, die in Moskau als Schönheit galt, zum ersten Mal gesehen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Säulensaal zu einem Veranstaltungsort für öffentliche Konzerte. Am 10. April 1862 fand hier das erste öffentliche Konzert in Moskau statt – ein Konzert der Russischen Musikgesellschaft unter der Leitung von Nikolai Rubinstein. Die Eintrittskarten kosten 50 Kopeken für sämtliche Plätze außer denen in der ersten Reihe. Der Saal konnte nicht alle Interessenten aufnehmen, und die Türen zum Foyer mussten geöffnet werden. Hier traten unter anderem Pjotr Tschaikowski, Nikolai Rimski-Korsakow, Sergej Rachmaninow, Robert und Clara Schumann, Franz Liszt, Hector Berlioz (gleich zweimal: 1847 und 1867), Fjodor Schaljapin, Konstantin Igumnow und Alexander Goldenweiser auf. Diese Praxis wurde auch nach der Revolution fortgesetzt. Hier wurde zum Beispiel 1942 Schostakowitschs Siebte Symphonie, die sogenannte Leningrader, aufgeführt und im Rundfunk bis nach Großbritannien und in die USA übertragen.