Bildnachweis: Kaveri ‚Fluss des Lebens‘, Foto von Thomas Voorter
Bitte rufen Sie das Video unter https://www.youtube.com/watch?v=zfdSZRekRX4 auf, um die Schriftrolle zu lesen und Ranganayakis aktuelle Lieder zu hören.
Eine Devadasi erinnert sich
Ein Exerpt aus dem Artikel Der Sprung im Spiegel - Eine Devadasi erinnert sich, Südindien, 1877 – 1947 von Dr. Saskia Kersenboom
Text: Dr. Saskia Kersenboom
Dr. Saskia Kersenboom studierte indische Sprachen und Theaterwissenschaften an der Universität Utrecht in den Niederlanden. Parallel zu diesem akademischen Lehrplan eignete sie sich das Devadasi-Repertoire aus Tempeln und Königshofen an und vermittelte es im Rahmen von Vorstellungen. Dies führte zu ihrer Doktorarbeit Nityasumanagali (1984), die als Nityasumangali – Devadasi Tradition in South India, Delhi: Motilal Banarsidass, 1987-2020, in sechs Auflagen veröffentlicht wurde. Saskia Kersenboom hat diese Überschneidung von darstellenden Künsten und akademischen Studien als Professorin für Linguistische Anthropologie und Theaterwissenschaft an der Universität Amsterdam (1990-2013) weiter ausgebaut. 1994 gründete sie Paramparai Arts, um das Devadasi-Erbe durch UNESCO-Beratung, Kulturprogramme, Lang- und Kurzkurse in Ungarn und Indien zu fördern.
Für weitere Informationen: https://www.paramparai.eu
Den vollständigen Artikel von Saskia Kersenboom lesen Sie im Programmbuch zu La Bayadère.
[…] In ihrem Essay erinnert sich Dr. Saskia Kersenboom an die Stimme ihrer Devadasi-Lehrerin, mit der sie von ihrer Familientradition, ihrem Leben und ihrer Hingabe an den Murugan-Tempel im südindischen Tiruttani sowie vom tragischen Aufstieg und Fall der Devadasi-Tradition erzählte. […]
WIE KONNTE DAS PASSIEREN?
Ich wurde schon als Kind für den Tempel bestimmt, wie meine Großmutter und meine Urgroßmutter. Wir sind im Besitz des erblichen Rechts, auftreten zu dürfen. Ein Antrag auf meine Aufnahme in den Tempeldienst wurde von zehn älteren Devadasis und Priestern unterzeichnet, bevor er an den König geschickt wurde. Der König ist die höchste Autorität unseres Tempels und mehrerer anderer Tempel in dieser Region. Die Bearbeitung eines solchen Antrags dauert sechs Monate. Meine Großmutter unterrichtete mich in Gesang und Tanz, während ein traditioneller Gelehrter mir Lesen, Schreiben, Rezitieren und Auswendiglernen der alten Legenden unserer Götter beibrachte. Nachdem der Antrag genehmigt worden war, wurde mein erster Tanzauftritt im Rahmen einer privaten Veranstaltung mit dem Binden der üblichen Tanzglocken gefeiert. Diese klingenden Fußkettchen machen aus einer Tänzerin eine Musikerin... Jeder Schritt dieser Aufführung war nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören! Sie öffneten mir die Tür zu meiner ‚Ehe‘. Devadasis werden nicht mit einem sterblichen Ehemann verheiratet, sondern mit der Waffe eines Gottes. In meinem Fall wurde MurugansDolch in unser Haus gebracht; dort wurden meine Hochzeitsrituale durchgeführt. Am nächsten Tag brachten mich meine Familie, Gratulanten und die Priester mit allem rituellen und musikalischen Pomp in den Tempel, um vor dem Gott ein großes Tanzkonzert aufzuführen. Zum Abschluss wurde mir mit einem heißen Eisen ein „Dreizack-Emblem“ auf den Arm gebrannt. Dieses Ritual wird ‚Markierung‘ genannt und ermöglichte es mir, zum ersten Mal das Kumbharati-Ritual durchzuführen. Dazu später mehr. Wir glauben, dass unsere Welt nur eine von Triloka, der „drei Welten“ ist, nämlich jene der Götter, der Sterblichen und der niederen Regionen. Manchmal manifestieren sich Götter und Göttinnen spontan als ein Wunderstein oder Baum auf dem Feld oder als ein Ameisenhaufen, in dem eine Schlange ihren Wohnsitz genommen hat. Jedoch in einem Tempel leben die Götter genau ‚hier‘, direkt vor unseren Augen. Es ist ihr Wohlwollen, wenn sie herabsteigen, um in einer Statue Wohnsitz zu nehmen, die von Menschenhand geschaffen wurde. Die Priester wissen, wie man die Götter in die Welt der Sterblichen einlädt, sich in einer von Menschenhand geschaffenen Form, sei es aus Stein, Bronze oder anderen Metallen niederzulassen. Es ist unsere Aufgabe, dieser göttlichen Präsenz Sorge zu tragen, damit die Götter ihren Sitz nicht verlassen und für die Gläubigen zugänglich sind. Unsere Lieder, Tänze und Rituale dienen diesem Zweck. Rituelle Handbücher, Steininschriften, Skulpturen und Malereien an den Tempelwänden dokumentieren unsere Präsenz seit über tausend Jahren.
Den vollständigen Artikel von Saskia Kersenboom lesen Sie im Programmbuch zu La Bayadère, das ab 24.5.2023 im Webshop erhältlich ist.
Bildnachweis: Kaveri ‚Fluss des Lebens‘, Foto von Thomas Voorter, Abbildung von Göttern, Sterblichen und die niederen Regionen