LA BAYADÈRE UND DER ORIENTALISMUS IM 19. JAHRHUNDERT
Auszug aus dem gleichnamigen Artikel von Marcus Pyka
Marcus Pyka ist Associate Professor im Bereich Geschichte. Er promovierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist nach Stationen an der Harvard University und dem University College Dublin an der Franklin University Switzerland in Lugano tätig. Seine Forschungsinteressen konzentrieren sich auf Fragen der kulturellen Gemeinschaftsbildung im 19. und 20. Jahrhundert.
Den vollständigen Artikel von Marcus Pyka lesen Sie im Programmbuch zu La Bayadère, das ca. am 24.05.2023 erscheint.
[…] So wichtig die Erkenntnis imperialistischer Zusammenhange ist, die zweifelsohne viele Werke des 19. und frühen 20. Jahrhunderts prägen, so wichtig ist es allerdings auch, gleichfalls nicht alles über einen Kamm zu scheren, und im Namen einer differenzierteren Betrachtung der Verschiedenheit der Kulturen Asiens im Gegenzug alle „Europäer“ mit der spezifischen Sicht des Britischen und Französischen Empires gleichzusetzen […]. Auch wenn in der 1877 uraufgeführten Bayadère verschiedene Einflüsse und Aspekte eines beginnenden imperialistischen Zeitalters bereits wahrnehmbar sind, so zeigt eine genauere Untersuchung, dass die Sachlage komplizierter ist. Die Entwicklung des Balletts, von seiner Uraufführung bis zu den verschiedenen Rekonstruktionsversuchen der letzten Jahre […] zeigen ein komplexes, vielschichtiges, und nicht zuletzt dynamisches Kunstwerk. Dies muss auch Auswirkungen haben auf jede kritische Lesart. Es lassen sich anhand der Bayadère gewissermaßen vier verschiedene Formen von „Orientalismus“ (mit jeweils unterschiedlichen Funktionen) nachweisen, wie die nachfolgende Skizze belegen soll: die Zeit der St. Petersburger Uraufführung, die Phase der folgenden Einstudierungen bis zur Oktoberrevolution, dann die Ära Stalins, und schließlich die Wiederbelebung und kritische Auseinandersetzung der Gegenwart.
[…] Auch wenn in Petipas Bayadère weder die Choreographie noch Leon Minkus’ Musik besonders ausgeprägt exotischer Natur waren, so boten Bühnenbild und Ausstattung insbesondere der ersten beiden Akte reichlich exotisches Spektakel, um ein phantastisches „Indien“ zu imaginieren (wie etwa der Feuertempel, Fakire, etc.). Die Inspiration hierfür kam von der spektakulären Berichterstattung über die mehrmonatige Indien-Reise des Prince of Wales in der Illustrated London News rund zwei Jahre zuvor, die europaweit für Aufsehen gesorgt hatte. In Großbritannien waren jene Reise und die Berichterstattung tatsächlich Teil imperialer Machtpolitik: das große, positive Echo bewog die britische Regierung kurz darauf, Königin Victoria zur „Kaiserin von Indien“ zu proklamieren. In einem russischen Kontext hingegen hatte dieses Indien zu diesem Zeitpunkt keinerlei imperiale Attraktivität, sondern repräsentierte nicht mehr (aber auch nicht weniger) als einen visuell ansprechenden, ja faszinierenden Exotismus, vergleichbar dem imaginären alten Ägypten in Petipas vorangegangenem Erfolgsballett Die Tochter des Pharaos (1862), oder dem mittelalterlichen Paris in seiner auf Victor Hugos Erfolgsroman Der Glöckner von Notre-Dame basierenden Esmeralda (zuerst 1866). [...]
Den vollständigen Artikel von Marcus Pyka lesen Sie im Programmbuch zu La Bayadère.