„,... wie früher ... wird zum Gedanken an den vergangenen Horror. “

von Daniel Ender

Fotografie von Matthieu Croizier

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Kaum ein „klassischer“ Komponist der Gegenwart spricht so offen über derart persönliche Themen wie Haas in den letzten Jahren – und zwar nicht nur über die dunklen Schatten der Vergangenheit aus der Zeit des Nationalsozialismus (über die in Österreich viel zu lange viel zu sehr geschwiegen wurde, sicherlich mehr als in Deutschland) und die eigene familiäre und eigene Verflechtung darin. Fast zeitgleich mit seinem diesbezüglichen Bekenntnis ging er mit einem weiteren, sehr privaten Outing an die Öffentlichkeit, das noch größere Reaktionen hervorgerufen hat, vielleicht, weil am diesbezüglichen Tabu lange nicht gerüttelt wurde.

In seinen bislang unveröffentlichten autobiographischen Erinnerungen stellt er eine Verbindung der Ausdruckswelt seiner Kompositionen mit der eigenen Biographie her:  „Die Dunkelheit, die Trauer, die Abgründe meiner Musik haben ihre Wurzel im Schmerz und der Scham über das, was die Eltern und Großeltern getan haben. Und im Schmerz und der Scham über das, was ich als Heranwachsender gedacht und gesagt habe. Dazu kam ein jahrzehntelanger Kampf gegen meine eigene sexuelle Orientierung. Erst nach meiner Übersiedlung nach New York war ich so weit, meine eigene sexuelle Identität zu akzeptieren. Ich hatte das Glück, eine wunderbare Partnerin zu finden, mit der ich in Liebe zusammenlebe.“

Die eigene sexuelle Orientierung, zu welcher sich der Komponist erst nach seinem Umzug in die Vereinigten Staaten offen bekannte: Damit ist die Neigung zu BDSM und zum dominanten Part dabei gemeint, den er in der Beziehung zu seiner Ehefrau Mollena Williams-Haas auslebt. Beide zusammen sprechen nicht nur öffentlich darüber, sondern erlauben im Dokumentarfilm The Artist & the Pervert von Beatrice Behn und René Gebhardt auch tiefe Einblick in ihren Alltag und ihre gemeinsame Intimität. Es waren also gleich zwei Befreiungsschläge, die Georg Friedrich Haas auf persönlicher Ebene gelangen. Dass es so lange gedauert hat, bis sie möglich waren, hat das Ehepaar bestärkt, möglichst offen damit umzugehen. Andere sollen damit bestärkt werden, zur eigenen Geschichte zu stehen und die eigenen Neigungen zu leben.  

Sein kompositorisches Schaffen, dass nach den beiden Outings nochmals mit neuer Energie belebt worden zu sein scheint, gewann durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit auch neue, existenzielle Seiten: Alle drei Opern der Schwetzinger Trilogie (Bluthaus, Thomas und Koma, sämtlich nach Libretti von Händl Klaus) rücken ansonsten im Musiktheater noch nie derart schonungslos gezeigte menschliche Grenzbereiche in den Fokus. Das erste der drei Werke ist vielleicht das persönlichte. Haas: „In Bluthaus habe ich emotionalen Missbrauch thematisiert. Ich bin Nadja – allerdings hat mein Vater mich nicht sexuell missbraucht, er hat ,nur‘ versucht, einen Nazi aus mir zu machen. Die Mutter hat mitgetan. Alle Erinnerungen sind vergiftet. So wie die falsche Schönheit der tonalen Klänge, die in der Oper mit diesen Erinnerungen verbunden sind. ,... wie früher ...‘ wird zum Gedanken an den vergangenen Horror. Darum packt Nadja ihre Eltern weg, zerstört die Wohnung, zerschlägt die Fenster.“