Spiegelbilder der Möglichkeiten einer Wirklichkeit
Im Gespräch mit Alicja Kwade
Foto: sekatsky
AK Alicja Kwade
SK Saskia Kruse
Im Gespräch mit Alicja Kwade
Foto: sekatsky
AK Alicja Kwade
SK Saskia Kruse
SK Man kennt dich für deine Skulpturen und Installationen im Innen- wie im Außenraum. Dein Portfolio umfasst darüber hinaus auch Fotografien, Video, Arbeiten auf Papier und Klanginstallationen. Nun hast du den Raum für ein Theaterstück entworfen. Wie fügt sich eine Theaterarbeit in dein Œuvre ein? Welchen Bezug hast du zum Theater?
AK Da muss ich ein bisschen ausholen. Es gibt nämlich ein sehr begründetes Interesse. Und zwar nicht, weil ich eine Theaterspezialistin wäre. Das bin ich viel zu wenig, zu meinem großen eigenen Beschämen. Aber ich habe tatsächlich mit Bühnenbild angefangen! Das weiß nur keiner. Ich hatte mich damals bei Achim Freyer an der UdK beworben, für die Bühnenbildklasse. Da war ich ungefähr 17 und hatte die Schule noch gar nicht abgeschlossen. Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte ich die Idee: Ich muss jetzt unbedingt Bühnenbildnerin werden! Dann bin ich da reingestolpert und habe es unter magischen Umständen tatsächlich bis in die letzte Runde der Aufnahmeprüfung geschafft – war aber natürlich viel zu jung. Achim Freyer meinte, ich soll mir noch mal ein bisschen Zeit lassen und vielleicht doch lieber Richtung Bildende Kunst oder Design gehen. Eigentlich weiß ich auch gar nicht, wie ich damals überhaupt auf die Idee kam, mich zu bewerben. Auf jeden Fall hängt mir das immer so ein bisschen nach.
SK Als vertane Chance?
AK Naja, so würde ich das nicht ganz sehen, denn ich bin sehr glücklich mit den Entscheidungen, die ich getroffen habe. Aber das war so ein aufgeschlagenes Buch, das ich nur nie wieder in den Fokus genommen habe, weil es nie eine Gelegenheit dafür gab. Ich kam aber immer wieder in die Situation, dass mich Menschen aus dem Theaterumfeld darauf aufmerksam gemacht haben, dass insbesondere meine Spiegelarbeiten die Möglichkeit eröffnen, sie mit einem Bühnenstück oder mit einem Ballett in Verbindung zu bringen. Und das hat sich gedanklich bei mir so sehr eingenistet, dass ich irgendwann auch selber dachte: Ja, das stimmt, das wären durchaus Arbeiten, die eine koordinierte Bewegung anstelle einer rein zufälligen implizieren oder auch einen Inhalt auf die Spitze bringen könnten. Ich habe mich dann selber mehr und mehr in diese Richtung bewegt und habe bei meinen Installationen immer öfter versucht, die Bewegung des Betrachters mit einzubeziehen, was automatisch wie eine kleine Inszenierung ist. Man fragt sich: Wo kommen die Betrachter her, wo gehen die lang, wann drehen sie sich um? Man durchdenkt diese Abläufe viel mehr als bei einer statischen Skulptur. Als dann die Anfrage von Serge Dorny kam, da dachte ich: Okay, super, vielleicht ist das jetzt die Gelegenheit, genau dieses Kapitel wieder aufzuschlagen.
SK Und dann kam als Narrativ das Stück Matsukaze dazu. Gibt es da etwas, was dich direkt gefesselt hat, als du angefangen hast, dich mit dem Stoff zu beschäftigen?
AK Das Stück ist ja auf dem ersten Blick relativ lesbar. Da tauchen Thematiken auf, mit denen ich mich selbst auch schon länger beschäftige: diese Suche nach der eigenen Identität, die beiden Schwestern als quasi-Doppelgängerinnen, dieses sich-Spiegeln-in-etwas – in sich selber, in der Schwester, in der eigenen Individualität, der eigenen Familie, der eigenen Verortung. Das schien einfach zu passen.
SK Sind diese Themen auch die, an denen du in der Arbeit dann längerfristig hängengeblieben bist?
AK Was mich dann vor allem interessiert hat, sind die komischen, merkwürdigen Aspekte. Also diese komische Figur – ich nenne sie wirklich mit Absicht im Singular – dieser zwei Schwestern, die sich in ein Individuum verlieben. Das ist ja quasi wie die Aufspaltung einer Persönlichkeit in zwei Körper. Das ist ein Thema, das mich auch schon seit langem umtreibt: Was ist Schicksal, was ist man selbst? Was ist die andere Möglichkeit von einem selbst? Wenn die Verortung eine andere wäre oder der Weg, den man gegangen ist? Ich habe selber sehr viele Arbeiten zu genau diesem Thema gemacht. Zum Beispiel meine Videoarbeit Alice, wo es um Figuren aus verschiedenen Filmen oder Romanen geht, die auch so heißen. Das war natürlich eine meiner eigenen, sehr persönlichen Geschichten. Ich bin als Alicja mit acht Jahren von Polen nach Deutschland gekommen – und da hat man mich umbenannt, um mich einzudeutschen. Aus Alicja wurde plötzlich Alice. Und ich hatte zwei verschiedene Pässe mit zwei verschiedenen Namen. Der Unterschied war zwar nicht besonders groß, doch er war entscheidend. Vor langer Zeit habe ich mir meinen polnischen Namen wieder zurückgeholt.
SK Da liegt es natürlich recht nah, dass diese Fragen nach Realität und Identität ein lebhaftes Echo bei dir auslösen.
AK Genau, aber eben auch die Illusion, die damit einhergeht – also die Frage: Was ist Hirngespinst, was ist Abbild, was ist erkennbar und was ist eingebildet oder emotional erschaffen? Das befrage ich mit meinen Spiegelarbeiten. Dabei versuche ich zu vermeiden, die Spiegel im gängigem Sinne der Begutachtung des eigenen Abbildes zu benutzen. Ich positioniere sie immer mit Absicht so, dass der Realraum und der gespiegelte Raum, also der abgebildete Raum, miteinander verschwimmen und nicht mehr klar voneinander zu trennen sind. Ein bisschen wie Tagtraum und Realität. Genau an der Schneide zwischen dem Realen und dem nicht unbedingt Geisterhaften, aber dem Geistes- erfundenem im Sinne des menschlichen Geistes.
SK War dir von Anfang an klar, dass du für den Raum bei Matsukaze in diese Richtung gehen willst? Dass es die Spiegel sein müssen?
AK Ja, absolut. Vom ersten Augenblick an. Das schien mir total passend. Nachdem ich die Anfrage bekommen und mich mit dem Stück beschäftigt hatte, habe ich gemerkt, dass eigentlich alles schon da ist. Und es gab mir die Freude und die Leichtigkeit, das dann auch genau so umzusetzen. Wenn ich mich da jetzt hätte reinackern müssen und gemerkt hätte, dass ich überhaupt nicht weiß, was ich tun soll – dann hätte ich es nicht gemacht.
SK Wenn man das Stück liest und sich auch die Oper anhört, bleiben viele Fragen offen: Sind die Schwestern nun Geister oder nicht? War die Begegnung real? Worum geht es eigentlich wirklich? Jetzt könnte man sich bei der Inszenierung des Stückes und dem dazugehörigen Raum ja auch dafür entscheiden, eine Eindeutigkeit herzustellen.
AK Das will ich ganz bewusst nicht. Selbst wenn Lotte und Tobias sich für eine eindeutige Interpretation entschieden hätten – was sie ja nicht haben – hätte ich das mit den Spiegeln gebrochen. Was natürlich passiert, ist, dass sich der Raum nicht nur doppelt, sondern auch überschneidet. Manche der Spiegel befinden sich in den Raum-Symmetrien. Dadurch überlappt sich der Abschluss zwischen Boden und Wand oder zwischen den Objekten und den Zuschauern. Es wird also ganz schwer zu ermitteln, was genau das reale Bild ist und was nicht. Wenn man sich um die Spiegel herumbewegt, scheint es fast so, als würden Menschen verschwinden und wieder auftauchen. Ein bisschen wie ein Zaubertrick. Das passiert ganz automatisch und deshalb haben wir auch sehr lange überlegt, wo was platziert wird. Also wohin mit dem Orchester, wo sind die Zuschauer. Dann verwirrt das Bild auch die Herkunft des Klanges, weil sich das Bild auch durch den Raum bewegt, in der Wiederholung durch die Spiegel. Allein das erschwert es, einem eindeutigen Faden zu folgen.
SK Das Spannende an den Spiegelarbeiten ist ja auch, dass ich als Zuschauerin selber aktiv werden muss, um des Werk zu entdecken. Das geht ja erst mal gegen das traditionelle Theaterverständnis, wo das Publikum vor einer Bühne sitzt und zugleich von ihr abgetrennt ist.
AK Ja, das ist bei dieser Inszenierung der Punkt, um den es geht: Man kann die Arbeit eigentlich nur erfahren, wenn man sich bewegt. Und die Arbeit impliziert damit den Zuschauer als Teil des Gegenstands, er ist nicht mehr davon abtrennbar.
SK Man kann behaupten, dass es neben den Figuren und dem Publikum noch eine weitere Figur gibt: die Natur. Die spielt ja schon im Titel eine große Rolle. Wir haben die Kiefer als wichtiges zentrales Element, aber auch das Meer, den Wind, das Salz. Aspekte der Natur findet man in deinen Arbeiten auch immer wieder. Und auch in dieser Arbeit kommst du nicht ganz ohne sie aus.
AK Diese Elemente waren mir tatsächlich nicht so wichtig. Sie sind im Stück schon so prägnant, dass ich nicht die Notwendigkeit gesehen habe, sie als optisches Ereignis auch noch obendrauf zu hauen. Was ich aber gemacht habe, ist das Salz einzubeziehen. Das hat für mich viele Bedeutungsebenen: als Symbol für das Leben, für die Haut, für Tränen, das Vergehen, die Zeit. Das habe ich aber in eine recht formale Ebene gebracht. Ich wollte da minimalistisch rangehen und mich dem Salz über das Geräusch annähern. Denn es erzeugt ein bestimmtes Geräusch, wenn man drauftritt. Ich wollte ein Spannungsfeld eröffnen, indem ich Elemente einbeziehe, die erst innerhalb der Performance ihre Wirkung entfalten. Deshalb gibt es Salz- und Wasserbecken. Wasser und Salz – symbolischer geht es ja kaum noch. Nur versuche ich sie nicht zu überinterpretieren.
SK Jetzt hast du schon kurz das Thema der Zeit angesprochen – Salz als ein mögliches Symbol für ihr Vergehen. Die Geschichte, die in dieser Oper erzählt wird, ist über 600 Jahre alt. Und trotzdem erzählen wir sie noch.
AK Wir schreiben seit Jahrtausenden Leidenslieder auf die Zeit, die vergeht. Natürlich aus ganz einfachen, egomanischen Gründen der begrenzten Zeitlichkeit unserer Existenz. Es geht nur um uns selbst. Also ein kleines metaphysisches Wesen, das sich die ganze Zeit um sich selbst dreht und jammert, dass alles irgendwann vorbei geht. Und vielleicht liegt es an meinem sarkastischen Wesen, aber für mich ist die ganze Welt und ihre Geschichte wie eine Drehbühne. Die ganze Zeit ist das Problem das gleiche, nur die Kostüme wechseln: Warum ist man hier? Was soll das? Es geht um diese Daseinsberechtigung und den Versuch, dem Ganzen irgendwie irgendeinen Sinn zu geben. Dieses Problem bleibt seit dem ersten denkenden Menschen das gleiche.
SK Im Noh-Spiel und auch in der Oper begegnet uns ebenfalls das Bild des Weltenrades, wenn man es so nennen möchte. Es dreht sich unaufhörlich weiter. Matsukaze und Murasame sind darin verhaftet und tun seit Jahrhunderten jede Nacht dasselbe, unverändert. Der Mönch macht ihnen das zum Vorwurf.
AK Es geht auch viel um die Suche nach Sicherheit. Um Routine. Es ist alles einfacher, was man kennt und nicht neu entdecken oder verstehen muss. Alles, was etwas Besseres verspricht, birgt auch immer Gefahr, weil man die bekannten Pfade verlassen muss. Für viele ist das eher abschreckend. Und das ist auch ein bisschen die Frage: Was ist denn das Richtige? Was ist das Einfachere? Das ist, glaube ich, leicht zu beantworten. Aber ist das ein Vorwurf? Vielleicht ist es das, weil man verbleibt. Dieses Verbleiben kann man aber auf alles Mögliche beziehen, auf die Umgebung, auf die Identität, den Verbleib als Teil von einer Familie, von einer Nation, von sich selbst. Das Verbleiben, was dieser Mönch quasi vorwirft, ist, glaube ich, ein sehr menschliches Phänomen. Um da rauszukommen, müsste man über seinen Schatten springen.