Am 21. Januar 2023 jährt sich der Todestag von Konstanze Vernon zum zehnten Mal. Die Gründungsdirektorin des Bayerischen Staatsballetts, das mit der Spielzeit 1990-1991 künstlerisch eigenständig wurde, hat etwas geschafft, an das nicht genug erinnert werden kann: Vernons ungebrochenem Willen und politischem Durchsetzungsvermögen ist es zu verdanken, dass nach zähen Verhandlungen aus dem Ballett der Bayerischen Staatsoper schließlich ein international angesehenes Tanzensemble wurde, das Bayerische Staatsballett.

Mit Unterstützung des damaligen Staatsopernintendanten August Everding und weiteren Mitstreiterinnen und Mitstreitern innerhalb und außerhalb des Theaters gelang es Konstanze Vernon, eine funktionierende Organisationsstruktur zu entwickeln, eigene Probenräume im Ballettprobenhaus am Platzl ihr Eigen nennen zu dürfen und den Grundstein für das zu legen, was bis heute das Profil der Compagnie ausmacht: ein außergewöhnlich breites und vielseitiges Repertoire. Sie schaffte es, Tanzschaffende mit Rang und Namen für Neukreationen und Gastengagements einzuladen und die Reputation nicht zuletzt aufgrund der vielen Gastspielreisen stetig zu vergrößern.

Im Vorfeld der Gründung des Bayerischen Staatsballetts 1989-90, welche 1990-91 offiziell abgeschlossen war, wurde die Debatte über die Zukunft der Münchner Ballettcompagnie nicht nur intern, sondern auch medial ausgetragen. Im Rückblick fragt man sich, wie Konstanze Vernon es geschafft hat, ihre Vision gegen so viele Widerstände zu realisieren und die Gegnerschaft von ihren Plänen zu überzeugen. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht ein im Hauptstaatsarchiv vorliegendes Gesprächsprotokoll von 1986, das ein Treffen zwischen ihr, dem Staatsopernintendanten August Everding, dem Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, Wolfgang Sawallisch, dem Tanzkritiker Jochen Schmidt und Vertretern des Ministeriums dokumentiert. Obwohl Konstanze Vernons Wortbeiträge eher kurz ausfielen und sie die Diskussion hauptsächlich den übrigen Sitzungsteilnehmern überließ, wurde sie offensichtlich von allen Seiten als Autorität anerkannt und mit Respekt behandelt. Sie vertrat eine sehr klare Position und hielt Kurs mit ihren Forderungen, für die sie offensichtlich bereits im Vorfeld Unterstützung gewonnen hatte. Zum Abschluss der Sitzung schlug sie einen Weg vor, wie man mit dem Thema weiter verfahren und vor allem wie man den Medien gegenüber auftreten sollte, die bereits Wind von den Plänen bekommen hatten. Ihr pragmatischer Kommentar, um die sehr hitzige Diskussion nicht abbrechen zu lassen:

„Wir können doch einfach sagen, die Gespräche werden fortgesetzt.“

August Everding pflichtete ihr bei: „Einverstanden. Dass jeder seinen Standpunkt dargelegt hat, auch wenn er kontrovers ist, das ist ja ganz interessant, und die Gespräche werden fortgesetzt.“

Konstanze Vernon in DER NUSSKNACKER (Foto: S. Töpfer)

Die protokollierte Unterhaltung mag die Art und Weise aufzeigen, wie es der zukünftigen Ballettdirektorin gelang, den Diskurs über ein zukünftiges „Staatsballett“ zu moderieren. Und eine „moderierende“ Haltung war in der aufgeladenen Atmosphäre bitter nötig. Schließlich ging es nicht nur um das Ballett als eine künstlerisch und strukturell eigenständige Organisationseinheit. Es ging um den Kulturbegriff an sich, um Machtpositionen, Deutungshoheit und Einflussbereiche. Nur schon am Begriff des „Staatsballetts“ entzündeten sich in jener Sitzung heiße Diskussionen.  August Everding fühlte sich schließlich dazu aufgerufen den Generalmusikdirektor Wolfgang Sawallisch zu beruhigen: Dieses „pompöse Wort Staatsballett“ sei nur erfunden worden, „um einen Namen zu haben“.


Man würde Konstanze Vernon heute gerne fragen, woher sie die Sicherheit und Zuversicht nahm, dass alles in ihrem Sinne ausgehen würde; ob sie ihre zukünftige Rolle als Direktorin bereits klar vor Augen hatte; und wie ihre Erfahrungen mit den verschiedenen (politischen) Gremien waren – als Frau in einer Männerwelt Ende der 1980er Jahre. Als Pädagogin, Gründerin der Heinz-Bosl-Stiftung und Direktorin der Münchner Ballettakademie hatte sie sich in verschiedenen Institutionen bereits Führungserfahrung angeeignet. Es ist deshalb anzunehmen, dass sie eine sehr klare Vorstellung von den Bedingungen hatte, die gegeben sein mussten, um eine Ballettcompagnie erfolgreich in die Zukunft zu führen. Es ist unbestritten: Die Existenz des Bayerischen Staatsballetts ist zu einem sehr großen Teil ihr Verdienst.

In der aktuellen Spielzeit 2022-23 sind es gleich zwei Ballettproduktionen, die die Handschrift der vor zehn Jahren verstorbenen Direktorin tragen – und die für ihr Geschick in strategischen und spielplantechnischen Fragen stehen: zum einen John Neumeiers Ein Sommernachtstraum, mit dem sie eine wichtige Shakespeare-Adaption des Hamburger Ballettchefs nach München holen konnte; und zum anderen der Ballettklassiker La Bayadère. Gerade diese zweite Produktion war ihr ein wichtiges Anliegen, da sie unbedingt die deutsche Erstaufführung des Balletts herausbringen wollte. Sie scheute sich nicht, zusätzliche finanzielle Mittel aufzutreiben, um die hohen Ausstattungskosten zu decken und den französischen Choreographen Patrice Bart sowie den japanischen Kostüm- und Bühnenbildner Tomio Mohri zu engagieren.

Seit über 20 Jahren befinden sich nun diese beiden Ballette aus Vernons Zeit im Repertoire des Bayerischen Staatsballetts. Und noch immer stellen sie ein sehr lebendiges Echo jener Ära dar, die für die Münchner Tanzgeschichte von nicht zu überschätzender Bedeutung ist.

 

Von Annette Baumann, Serge Honegger

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