Gesprächsausschnitte aus den Konversationen mit Sol León und Paul Lightfoot im Vorfeld der Premiere zum Ballettabend Schmetterling
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Doppelmelodie
PL Schmetterling ist ein delikates Stück. Es enthält viel Sarkasmus, drückt einige zutiefst menschliche Gefühle aus und erfordert eine ausgefeilte Tanztechnik. Darüber hinaus ist es eine neue Sprache für die Compagnie in München. Wir erfinden in Schmetterling das Rad nicht neu, aber dieses Ballett stellt eine Brücke zwischen modernem und klassischem Tanz dar. Niemand aus dem Ensemble hat je zuvor mit uns gearbeitet. Uns macht es großen Spass, den Tänzerinnen und Tänzern unsere Sprache beizubringen.
SL Paul und ich, wir haben verschiedene Teile zu diesem Ballett beigetragen, er auf seine Art und ich auf meine. Dann haben wir das Material zu einem Ganzen kombiniert, wie verschiedene Farben, die auf den Flügeln des Schmetterlings zusammenspielen.
PL Im Wort Schmetterling ist alles enthalten, was dieses Ballett ausmacht: die Flüchtigkeit einer Aufführung, das absurde Kabarett des Lebens und das schnelle Vergehen der Zeit. Von diesem Bewusstsein ist gerade auch das Leben der Tänzerinnen und Tänzer charakterisiert, deren Karrieren nicht lang sind. Deshalb gilt es das Glück im Jetzt zu finden. Außerdem gibt es bei Schmetterling die Idee der Transformation und die Auseinandersetzung mit Wahrnehmungsweisen des Todes. Was sind unsere Vorstellungen von Leben und Tod? Wohin gehen wir? Welche Veränderungen streben wir an?
Eine Choreographie ist wie ein Gedicht.
SL Als Choreographin bin ich für den Atem des Gedichts verantwortlich. Dafür gibt es kein Rezept oder einen Plan. Wenn ich choreographiere, weiß ich nie genau, wo ich am Ende landen werde. Ich achte darauf, dass ich dem Atem des Gedichts in jedem Moment gerecht werde und ihn weitertrage. Das ist nicht etwas, das bewusst geschieht. Ich entscheide aus dem Unbewussten heraus. Man muss auf seinen inneren Kompass vertrauen.
PL Für unsere Ballette verwenden wir immer Titel, die mit dem Buchstaben S beginnen. Das hat sich so ergeben. Bereits als Kind mochte ich Hitchcock-Filme, und ich sagte zu Sol: Du bist immer da, wie Hitchcock in seinen Filmen, in denen er auftaucht. – Das S war eine Geste für Sols Präsenz im kreativen Prozess. Und dann wurde das S zu einem Maskottchen für uns, ein Zeichen oder Glücksbringer. Es gibt nur sehr wenige Stücke, bei denen wir das S nicht verwendet haben. Das Spiel mit dem S schränkt uns ein, aber gleichzeitig verleiht es uns eine Wurzel. Außerdem finde ich, dass es ein wunderschöner Buchstabe ist. Als unsere Tochter geboren wurde, haben wir ihr auch einen Namen mit einem S gegeben: Saura.
SL Es gibt ein wichtiges Bild in Silent Screen. Es zeigt unsere Tochter Saura. Sie war sechs Jahre alt, als wir den Film drehten. Ich wollte die Schönheit des Unschuldigen dieses Alters zeigen, inspiriert auch aus einer weiblichen Sicht auf die Rolle der Frau, auf die Dilemmata und Entscheidungen, die das Leben ihr auferlegt. Dagegen werden in Schmetterling die Bilder der alternden Frau, der Mutter, der Mutter und ihrem Sohn sowie der Tochter aufgerufen.
PL Wenn ich jetzt in Silent Screen unsere Tochter auf der Leinwand sehe, wie sie damals sechs Jahre alt war, denke ich, wow, das kommt mir vor wie gestern. Aber es ist nicht gestern, es ist jetzt schon lange her. Jeder, der ein kleines Kind sieht, wird mit diesem Gefühl der Sterblichkeit und der Vergänglichkeit konfrontiert. Als wir 2005 Silent Screen kreierten, war das eine schwierige Periode für Sol und mich. Unsere persönliche Beziehung löste sich auf und verwandelte sich in etwas Anderes. Wir versuchten, unseren Weg durch dieses Labyrinth zu finden. Wie jedes menschliche Wesen sind wir verletzlich. Und dies war eine sehr instabile Zeit für uns. Wir merkten auch, wie sich das Bewusstsein unserer Tochter zu verändern begann. Wir spürten, dass dies das Ende einer Phase war. Wie konnten wir ihr helfen? Wie konnte sie verstehen, was ihre Eltern durchmachten? Die Arbeit an Silent Screen erwies sich als ein Ventil, um unseren Ängsten, Träumen, Hoffnungen und Wünschen eine Form zu verleihen. Die Poesie spielte dabei eine wichtige Rolle. In den dunkelsten Momenten muss es etwas geben, das Licht spendet. Im Nachhinein glaube ich, dass wir aus etwas Schmerzhaftem etwas Heilsames gemacht haben.
SL Du hast mich gefragt, wie wir zu der poetischen Struktur in unseren Balletten finden:
Weil wir den Tanz lieben. Liebe ist alles. Egal wie schwer es ist, was man tut, es muss von Liebe bewegt sein.
PL Schmetterling nahm in der Entstehung einen anderen Weg als Silent Screen. Mit diesem Ballett waren wir fast fünf Jahre lang mit dem NDT auf Tourneen durch die ganze Welt unterwegs. Anschließend haben wir uns gesagt: Lass uns dieses Ballett für eine gewisse Zeit etwas schlafen legen. – 2020 wollten wir es für meine letzte Spielzeit als künstlerischer Direktor am NDT wieder auf die Bühne bringen. Aber dann kam die Pandemie und wir waren gezwungen, den Plan aufzugeben. Das brach uns das Herz. Ein weiterer großer Kummer war, dass wir in dieser schweren Zeit Abschied vom NDT nehmen mussten. Aber es liegt in meiner Natur zu versuchen, aus einer schlechten Sache etwas Gutes zu machen. So haben wir zum Abschied vom NDT einige schöne Filme produziert, die ohne Corona nicht entstanden wären. Weil wir damals bereits Schmetterling für München vorgeschlagen hatten, wussten wir, dass dieses Ballett doch noch zu seiner Auferstehung kommen würde.
Mehr Gesprächsabschnitte finden Sie im Programmheft zu Schmetterling. Am 31. März 2023 eröffnet Schmetterling die Ballettfestwoche 2023.