Vertonte und vertanzte Geschichten über die großen Fragen des Menschseins: MYTHOS UND MUSIKTHEATER

Seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte erzählen wir uns Mythen über Götter, die Entstehung der Welt oder die Erschaffung des Menschen – Geschichten über große Themen, die gedeutet werden wollen: Friedrich Nietzsche macht die kreis­förmige Zeitvorstellung des Mythos für sein Konzept der „Ewigen Wiederkunft des Gleichen“ fruchtbar, während für Sigmund Freud Mythen vor allem als Projektions­fläche für menschliche Bedürfnisse und Probleme dienen.

Die Wechselwirkung von Mythos und Musiktheater lässt sich bis in die Geburts­stunde der Gattung zurückverfolgen: So vertonten neben Claudio Monteverdi zahl­reiche Komponisten den Orpheus-Mythos über die Grenzüberschreitung von Dies­seits und Jenseits durch die Macht der Musik und der Liebe. Antike Gestalten stehen auch im Zentrum von Richard Strauss’ Oper Die Liebe der Danae, die der Komponist als „heitere Mythologie“ bezeichnete, oder von Henry Purcells Dido and Aeneas – hier stand mit Homers Ilias eine der ältesten schriftlichen Überlieferungen über den Trojanischen Krieg als größte Schlacht griechischer und römischer My­thensammlungen Pate. Richard Wagner schöpft für seine rund 14-stündige Tetra­logie Der Ring des Nibelungen hingegen aus der germanischen und der nordischen Mythologie und verfolgt dabei den Anspruch auf universale Weltdeutung, während sein Lohengrin auf den mittelalterlichen (christlich gefärbten) Gralsmythos zurück­geht.

Ein Mythos geht nicht selten mit übernatürlichen Erscheinungen einher, und so fügen sich die Titelheldinnen im Ballett La Sylphide als Luftgeist und in Antonín Dvořáks Oper Rusalka als Wasserwesen ebenso in das mythische Universum ein wie ihre furchterregenden Gegenspielerinnen, die Hexen Madge und Ježibaba.

In einem Rahmenprogramm aus Vorträgen und Lesungen wollen wir uns also wäh­rend der Münchner Opernfestspiele im Nationaltheater jenen Werken unseres Spiel­plans widmen, die mythische Erzählungen fortschreiben.

Eintritt frei. Alle Veranstaltungen des Festspiel-Fokus sind nur mit einem Ticket für die nachfolgende Vorstellung im Nationaltheater zugänglich. 

GEISTERLIEBE. EINIGE ÜBERLEGUNGEN ZU EINER SELTSAMEN EROTISCHEN BEZIEHUNG

Fr, 11.7.25, 18:00 Uhr

RHEINGOLD bar-bistro

Prof. i. R. Dr. Christian Begemann (Germanist)

Nicht nur in La Sylphide oder Giselle, sondern in zahllosen anderen Texten des 19. Jahrhunderts verlieben sich Menschen in Geister, in Elementarwesen, Undinen, Elfen oder auch regelrechte Gespenster. Dieses unheimliche Begehren mag nicht jedermann einleuchten. Warum also ist das so, und was verbirgt sich hinter dieser seltsamen erotischen Konstellation? Der Vortrag will dazu einige Überlegungen anstellen. Geht es hier einerseits um den Wunsch, sich mit einer belebten und beseelten Natur in Beziehung zu setzen, ja, eine verlorene Natur wiederzugewinnen, so werden andererseits Fragen einer Ordnung der Geschlechter verhandelt, die sich um und nach 1800 im Umbruch befindet: die ‚Natur‘ von Männern und Frauen, das ‚Wesen‘ von Liebe und Ehe im Zeichen des heraufziehenden Viktorianismus und nicht zuletzt die Grenzen des Körpers, die mit dem Auftreten von Geistern verschwimmen.

Im Anschluss: La Sylphide

FESTSPIEL-FOKUS-TERMINE

LESUNG: TESTAMENTSENTWURF VON ARNOLD SCHÖNBERG

So, 13.7.25, 17:30 Uhr

RHEINGOLD bar-bistro

Amadeus König (Schauspieler)

Im Anschluss: Dido and Aeneas … Erwartung

FESTSPIEL-FOKUS-TERMINE

VORTRAG: DER MYTHOS VON DIDO UND AENEAS

Mi, 16.7.25, 17:30 Uhr

RHEINGOLD bar-bistro

Prof. Dr. Marcus Pyka (Historiker und Judaist)

Im Anschluss: Dido and Aeneas ... Erwartung

FESTSPIEL-FOKUS-TERMINE

AUSSTELLUNGSFÜHRUNG: DAS RÄTSEL ALS ZENTRALES ELEMENT DES MYTHOS

Sa, 19.7.25, 17:30 Uhr

HELDENREIZER Contemporary (Türkenstraße 32)

Marcus Trautner (Kunsthistoriker und Galerist)

Während der Münchner Opernfestspiele 2025 findet erstmals eine Kooperation zwischen dem Galerienverband Open Art Munich und der Bayerischen Staatsoper statt. In Zuge dessen gibt uns Marcus Trautner Einblicke in die aktuelle Ausstellung seiner Galerie Heldenreizer, in der wie in Richard Strauss’ „Heiterer Mythologie“ Die Liebe der Danae das Rätsel in den Fokus rückt. So steht die Titelheldin in der Oper vor dem Rätsel, auf welchen Mann sie sich einlässt, dessen Verhalten so wandelbar scheint: Midas oder Jupiter, der menschliche Gestalt annimmt, um sich der Tochter des Königs Pollux nähern zu können. Die Ausstellung AenigmA hingegen, kuratiert von Maddalena Pelù, hat als Ausgangspunkt die Beziehung des italienischen Künstlers Giorgio de Chirico zu München, einer Stadt, die sein metaphysisches Denken entscheidend prägte. In der Frage „Was also könnte ich lieben, wenn nicht das Rätselhafte?“ – wird das Rätselhafte zur existenziellen Konstante. Die Künstlerinnen Audrey Guttman, Faye Formisano und Lulù Nuti reflektieren das Enigma als Form des Fragens, als Grenzphänomen zwischen Sichtbarkeit und Abwesenheit, Mythos und Realität. Ihre Werke eröffnen Räume produktiver Ambiguität – das Enigma erscheint hier nicht als zu lösende Aufgabe, sondern als Modus künstlerischer Erkenntnis.

Im Anschluss: Die Liebe der Danae 

FESTSPIEL-FOKUS-TERMINE

VORTRAG: VON HUGO VON HOFMANNSTHAL ZU JOSEPH GREGOR

ARBEIT AM MYTHOS IN DIE LIEBE DER DANAE

Di, 22.7.25, 17:30 Uhr

RHEINGOLD bar-bistro

Prof. Dr. Albert Gier (Romanist und Librettologe)

Ein fiktives Gespräch mit Richard Strauss, das Hugo von Hofmannsthal 1928, zur Uraufführung der Ägyptischen Helena, veröffentlichte, schließt mit dem Satz: „Machen wir mythologische Opern, es ist die wahrste aller Formen – denn „wenn sie etwas ist, diese Gegenwart, so ist sie mythisch“. Zu dieser Gegenwart hat Hofmannsthal ein gebrochenes Verhältnis: Das Libretto übt – von einem konservativen Standpunkt aus – Kritik am Kapitalismus. Die Königstochter Danae ist eine der zahllosen Geliebten Jupiters; weil ihrem Vater geweissagt wurde, ihr Sohn würde ihn töten, hält er sie in einem unterirdischen Verlies gefangen, damit kein Mann in ihre Nähe kommt. Jupiter verwandelt sich in einen goldenen Regen, der durch das Dachgebälk tropft und sie schwängert. Erst in Hofmannsthals Entwurf liebt Danae das Gold über alles, und der Dichter verknüpft ihre Geschichte mit der einer anderen vom Gold besessenen Figur: Alles, was König Midas berührt, verwandelt sich in Gold. Hofmannsthal plante, dass beide durch die Liebe von ihrer Goldgier geheilt werden sollten und am Ende arm, aber glücklich miteinander lebten. – Da Hofmannsthal im Juli 1929 überraschend starb, musste Strauss sich einen anderen Textdichter suchen; er fand ihn in dem Theaterwissenschaftler Joseph Gregor. Sein Libretto weicht in manchem von Hofmannsthals Plan ab (unverblümte Kapitalismuskritik hätte die Aufführung der Oper im Deutschland der Nazis wohl unmöglich gemacht), die Zusammenarbeit mit Strauss war nicht frei von Konflikten. Zu Lebzeiten des Komponisten kam es nur zu einer nichtöffentlichen Generalprobe (Salzburg 16.8.1944), die Uraufführung fand erst im August 1952, wiederum in Salzburg statt.

Im Anschluss: Die Liebe der Danae

FESTSPIEL-FOKUS-TERMINE

LESUNG: ELFRIEDE JELINEK – REIN GOLD

Fr, 25.7.25, 17:30 Uhr 

RHEINGOLD bar-bistro

Lola Giwerzew (Schauspielerin)

Auf Anregung der Bayerischen Staatsoper verfasste die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek im Rahmen der letzten Ring-Deutung von Andreas Kriegenburg einen Bühnenessay zu Richard Wagners Opus magnum. Der Text knüpft an den großen Dialog zwischen Brünnhilde und dem Göttervater Wotan in Die Walküre an und stellt Verbindungen zwischen Mythos, Wagner und Gegenwart her. Uraufgeführt wurde der umfangreiche Gedankenfluss am 1. Juli 2012 in einer Inszenierung von Nicolas Stemann während der Münchner Opernfestspiele im Prinzregententheater: „Also. Papa hat sich diese Burg bauen lassen, und jetzt kann er den Kredit nicht zurückzahlen. Eine Situation wie in jeder zweiten Familie …“

Im Anschluss: Das Rheingold

FESTSPIEL-FOKUS-TERMINE

LESUNG: INGEBORG BACHMANN – UNDINE GEHT

Sa, 26.7.25, 17:30 Uhr

RHEINGOLD bar-bistro

Luise Arnold (Schauspielerin)

Weitere Informationen folgen. 

Im Anschluss: Rusalka

FESTSPIEL-FOKUS-TERMINE

AUSSTELLUNGSFÜHRUNG: LOHENGRIN-BÜHNENWELTEN

So, 27.7.25, 15:30 Uhr

Walter Storms Galerie (Schellingstraße 48)

Walter Storms (Kunsthistoriker und Galerist)

Günther Uecker verstarb kürzlich am 10. Juni 2025 im Alter von 95 Jahren in Düsseldorf. Er war eine der aktivsten, erfolgreichsten, aber auch beliebtesten Künstlerpersönlichkeiten der deutschen Nachkriegsszene. Untrennbar bleibt sein Name mit der legendären Gruppe Zero verknüpft, insbesondere seine Nagelreliefs werden weltweit hochgeschätzt. Zuletzt, im Januar 2025 wurden die vierzehn Meter hohen Glasfenster „Lichtbogen“ von Günther Uecker für den Dom zu Schwerin in seiner mecklenburgischen Heimat eingeweiht. Zu Ueckers vielschichtigen Werk gehören Bühnenbilder und szenische Gestaltungen für Oper und Schauspiel. Zur Open Art 2025 zeigt die Walter Storms Galerie in einer umfangreichen Ausstellung Ueckers Bühnenbildentwürfe und Figurinen für Richard Wagners Lohengrin bei den Bayreuther Festspiele (1979–1982). Nach der Ausstellungsbesichtigung bleibt den Opernbesuchern noch genug Zeit, um zum an­dert­halb Kilometer nahen Nationaltheater zu flanieren, wo sie mit der aktuellen Münchner Inszenierung Kornél Mundruczós von Richard Wagners „Romantischer Oper“ die heutige Deutung einer Lohengrin-Welt der Bühnenbildnerin Monika Pormale erwartet.

Im Anschluss: Lohengrin

FESTSPIEL-FOKUS-TERMINE

RICHARD WAGNERS WIRKEN IN MÜNCHEN UND DIE URAUFFÜHRUNG VON RHEINGOLD

Mo, 28.7.25, 17:30 Uhr

RHEINGOLD bar-bistro

Prof. Dr. Hartmut Schick (Musikwissenschaftler)

Insgesamt kaum zwei Jahre hat Richard Wagner in München gelebt, doch gehörten die Monate in der bayerischen Hauptstadt und am Starnberger See zu den turbulentesten Phasen in seinem ohnehin romanhaften Leben. Am Tiefpunkt seiner Karriere angelangt und scheinbar endgültig gescheitert, wurde er von Ludwig II. mit märchenhafter Förderung gerettet. Die nicht mehr für möglich gehaltenen Uraufführung von Tristan und Isolde bescherte ihm den Höhepunkt seines Lebens, die Meistersinger-Premiere seinen größten öffentlichen Triumph – obwohl ihn die Münchner zuvor mit Schimpf und Schande aus der Stadt vertrieben hatten. Die Chance, dass München, ausgestattet mit einem Wagner-Festspieltheater samt neuer Prachtstraße, anstelle von Bayreuth für alle Zeiten zur Wagner-Pilgerstätte würde, war dahin. Und doch konnte man in München, nicht erst 1876 in Bayreuth, zumindest die Hälfte des Rings des Nibelungen aus der Taufe heben – vom fernen Komponisten freilich mit Gift und Galle überschüttet.

Im Anschluss: Das Rheingold

FESTSPIEL-FOKUS-TERMINE

VORTRAG: DER MYTHOS DER SEEJUNGFRAU

Di, 29.7.25, 17:30 Uhr

RHEINGOLD bar-bistro

Prof. Dr. Ulrich Theißen Pibernik (Slawist)

Weitere Informationen folgen.

Im Anschluss: Rusalka

FESTSPIEL-FOKUS-TERMINE

MYTHOS UND MEDIUM. WAGNERS BEETHOVEN

Mi, 30.7.25, 16:30 Uhr

RHEINGOLD bar-bistro

Prof. Dr. Holger Noltze (Germanist und Journalist)

1840 verfasst Wagner, 27 Jahre alt, in Paris die Novelle einer fiktiven Begegnung mit Beethoven, eine „Pilgerfahrt“ zum bewunderten Genie in Wien. Dreißig Jahre später erscheint der Großaufsatz „Beethoven“, in dem es um das „Verhältnis des großen Beethoven zur deutschen Nation“ geht. Sowohl literarisch wie theoretisch erscheint Beethoven als mythische Größe, vor allem aber als Medium für Wagners eigene Ideen eines Musikdramas, das die Symphonie als musikalische Leitgattung ablöst.

Im Anschluss: Lohengrin

FESTSPIEL-FOKUS-TERMINE

VORTRAG: WAGNERS „RHEINGOLD“ UND DIE MYTHEN DER „EDDA“

DO, 31.7.25 17:30 UHR

RHEINGOLD bar-bistro

Dr. Sergej Liamin (Germanist)

Mit seiner Operntetralogie Der Ring des Nibelungen liefert Richard Wagner eine universale Weltdeutung vom Aufstieg und Untergang der Götter sowie von der Emanzipation des menschlichen Geschlechts. Dafür griff er nicht nur auf das mittelhochdeutsche Nibelungenlied, sondern auch auf Erzählungen aus der nordischen Mythologie zurück, insbesondere die Edda – eine altisländische Sammlung von skandinavischen Götter- und Heldensagen. Der Germanist Sergej Liamin widmet sich in seinem Buch Mythen der Edda in der deutschen Dichtung der produktiven Rezeption der eddischen Mythologie im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. In seinem Vortrag erweitert er diese Perspektive auf Wagners Auseinandersetzung mit der nordischen Mythologie.

Im Anschluss: Das Rheingold

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