Zofia Posmysz verarbeitete in ihren literarischen Werken rund um die Erzählung Pasażerka ihre Zeit im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Als Namensgeber:innen dienten ihr real existierende Personen. Ihre Werke sind zwar nicht als dokumentarischer Bericht zu verstehen, Anlehnungen an historische Figuren sind jedoch frappierend.
ANNELIESE FRANZ (1913–1956) kam 1943 als Angestellte aus dem Konzentrationslager Ravensbrück ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Sie war nicht im Stammlager tätig, sondern im Vernichtungslager Auschwitz II (Birkenau). Bis 1944 war sie dort Aufseherin und Chefin der Küche und der Brotkammer. Mitte 1943 wurden in Birkenau alle SS-Männer durch Frauen im Dienst der SS ersetzt, Anneliese Franz wurde damit die Aufseherin von Zofia Posmysz. Anneliese Franz war auf der Suche nach einer deutschsprechenden Inhaftierten, die für sie die Bücher führen sollte. Da Zofia Posmysz Deutsch sprach, wurde sie „befördert“. Im Dezember 1944 wurde Anneliese Franz ins Konzentrationslager Mühldorf versetzt. Nach dem Krieg tauchte sie unter und wurde nie angeklagt. Im Personenlexikon aus Auschwitz vom Journalisten und Historiker Ernst Klee steht über sie: „SS-Aufseherin im Kommando Rajsko, später Block- und Kommandoführerin in den Häftlingsküchen des Frauenlagers Birkenau. Häftlingsschreiberin Raya Kagan [die auch im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess aussagte] berichtet über Franz: ‚Sie kam als Nachfolgerin der [Gertrud] Weniger im Jahre 1943 als Aufseherin ins Stabsgebäude. Sie schickte ebenfalls kranke Frauen nach Birkenau zur Vergasung.‘“
MARTA SAWICKA (1917–1988) kam am 30. Juli 1942 mit einem Transport aus Radom ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und erhielt die Nummer 13103. Sie wurde 1945 in das Konzentrationslager Ravensbrück „evakuiert“, wo sie die Befreiung erlebte. Als Zofia Posmysz Ende Januar 1943 in die Lagerküche versetzt wurde, arbeitete Marta Sawicka am Nachbarkessel. Zofia Posmysz: „Sie wurde meine engste Leidensgenossin und später eine Freundin fürs Leben.“ Marta Sawicka und Zofia Posmysz entwickelten bereits im Lager eine enge Vertrautheit. Die beiden erfuhren – über geheime Kommunikationskanäle –, dass die Eltern und die beiden Brüder von Marta Sawicka erschossen worden waren, weil sie angeblich Teil der Widerstandsbewegung gewesen waren. Später setzte Zofia Posmysz sich bei Aufseherin Anneliese Franz dafür ein, dass Marta Sawicka von der Küche in die Brotkammer versetzt wurde, was Marta Sawicka und ihrer Schwester, die ebenfalls interniert war, vermutlich das Leben rettete, weil der Zugang zu Brot und Margarine – und das heimliche Entwenden dieser Güter – überlebenswichtig war.
Die Anlehnungen in den Werken von ZOFIA POSMYSZ (1923–2022) an die real existierende Marta Sawicka sind frappierend – die größten Teile der erzählten Inhalte sind jedoch wohl auf die Erlebnisse von Zofia Posmysz selbst zurückzuführen. Ihr Verhältnis zu Anneliese Franz war zwiespältig – einerseits bestand ein perfides Abhängigkeitsverhältnis, andererseits beschreibt Zofia Posmysz in ihren Überlebensberichten auch immer wieder menschliches Verhalten ihr gegenüber. Dieser kaum auszuhaltende Antagonismus ist in der Erzählung Pasażerka zwischen Marta und Lisa grundlegend.
TADEUSZ PAOLONE-LISOWSKI (1909–1943) war Häftling im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz mit der Nummer 329. Zofia Posmysz lernte ihn kennen, als sie zur Schreiberin „befördert“ wurde: Tadeusz Paolone-Lisowski hatte die Aufgabe, Zofia Posmysz drei Tage lang in Buchführung zu unterrichten. Zwischen den beiden entstand ein kurzes, aber intensives Miteinander. Tadeusz Paolone- Lisowski schenkte Zofia Posmysz ein Medaillon mit Jesus Christus. Es entspann sich zwischen den beiden eine heimliche briefliche Korrespondenz im KZ. Irgendwann endete der Briefkontakt, Tadeusz Paolone-Lisowski wurde verhaftet. Daraufhin verbrannte Marta Sawicka die Briefe von Zofia Posmysz und Tadeusz Paolone- Lisowski, um das heimliche Kommunikationssystem und die daran Beteiligten zu schützen. Tadeusz Paolone-Lisowski wurde am 11. Oktober 1943 wegen „konspirativer Tätigkeit im Lager“ hingerichtet. Anneliese Franz teilte schließlich Zofia Posmysz mit, dass er erschossen wurde. Sie schien von der Korrespondenz der beiden gewusst zu haben. Tadeusz Paolone-Lisowski war Teil einer Widerstandsgruppe (Związek Organizacji Wojskowej), die im Untergrund arbeitete und deren Ziele darin bestanden, die Häftlinge moralisch zu stärken, Nachrichten von draußen zu übermitteln, zusätzliche Lebensmittel und Kleidung zu verteilen und nachrichtendienstliche Netze einzurichten. Das Medaillon von Tadeusz Paolone-Lisowski trug Zofia Posmysz bis zu ihrem Tod 2022 bei sich.
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